Voll verplant und zugenäht

Traveler Z 14

„Des Menschen größtes Leid, ist das, was er sich selbst antut.“

 Da habe ich mir wohl gestern sämtliche Wochenrationen für die nächsten Monate abgeholt und angetan, behaupte ich mal so einfach. Na, ok, ab gestern spätnachmittags ging es dann wieder aufwärts mit meinem Befinden und ich habe so langsam auch aufgehört, mein imaginäres Ich zu beschimpfen. Bin es auch selbst schuld gewesen. Wie konnte ich auch nur annehmen, dass ich so viele Dinge auf einmal erledigen kann, wie ich versuchte? Auch ich habe nur begrenzte Möglichkeiten wie zwei Hände, zwei Ohren, zwei Beine, aber eine nie enden wollende Selbstüberschätzung, wenn es um bestimmte Tagesabläufe geht.

Bevor ich nun aber wieder anfange, mich selbst zu beschimpfen und Gefahr laufe, mir den heutigen Tag zu vermiesen, erzähl ich einfach mal, wie alles begann und wie ich mich, ungeplant wieder mal verplant habe. Die Lorbeeren darf ich mir nicht ins Haar binden, dabei hätte mein Ego sie gerade gestern so sehr gebraucht *lächel*

Meine Erzählung beginnt bereits vorgestern, dem Tag vor dem Tag der Tage:

Mein Sohn Sascha, der seit, kurz nach seiner Geburt von einem Handicap begleitet wird, lebt seit nunmehr vier Jahren in einem betreuten Wohnhaus. Vorgestern nun habe ich meinen Sohn mal wieder für einen Übernachtungsbesuch bei uns, abgeholt. Sascha kommt ganz gerne zu uns, fährt aber auch genauso gerne in sein „neues“ Zuhause zurück, wenn er dann mal wieder merkt, dass die Mama ständig kontrolliert.

Sind die Zähne auch richtig geputzt, die Ohren sauber? Sein, ihm „heiliger Bartwuchs“ müsste auch mal wieder dringend verschwinden und seine Lieblingsklamotten bedürften nach zwei Tagen Tragzeit, mindestens eine Runde in der Waschmaschine. Könnte jetzt mindestens noch weitere zwanzig Punkte aufführen, welche den Wunsch meines Saschas, nach Hause fahren zu dürfen, erklären würden. Für mich als Mensch durchaus nachvollziehbar. Doch als Mutter mag ich das nun mal gar nicht verstehen, ich bemüh mich zumindest und nach außen hin gelingt es mir auch manchmal.

Insgeheim muss ich doch so manches Mal schmunzeln, wie mein Sohn versucht, sich meinem Rockzipfel zu entziehen. Bei Hygiene und Ordnung lasse ich da nicht locker und setze mich auch nach wie vor bei meinem Sohneschatz durch. Doch in den anderen Lebenslagen bin ich froh, dass er ein wenig selbstbestimmter wird und lernt, seine Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen.

Nun weiter im Text:

Ich habe Sascha am Sonntag abgeholt und wir verbrachten einen gemütlichen Abend zusammen. Sascha hatte, wie immer, viel zu erzählen. Das hat er wohl von mir, befürchte ich *lächel* Vom Wohnhaus und auch z.B. dem neuen Bewohner dort, der vor drei Wochen eingezogen ist und nun den Balkon für sich vereinnahmt, wenn es dann schönes Wetter ist. Da müssen dann die Raucher nach vorne, sich vor die Haustüre verziehen, wenn er sich entscheidet, in der Sonne sitzen zu wollen. Das kann ja noch heiter werden, dachte ich so bei mir.

Am Montagmorgen sind wir dann gemeinsam zum Einkaufen gefahren. Sascha wollte zwei Torten kaufen aus dem Tiefkühlsortiment einer bekannten Firma. Für Dienstag, den 14. seinem 28.Geburtstag. Ich hatte ihm versprochen, eine weitere Torte zu backen, eine seiner Lieblingstorten, Schwarzwälder Kirschtorte nach, eigens abgewandelter Rezeptur.

Wieder zu Hause, erzählte Sascha dann eine weitere Geschichte aus der Werkstatt, in der er arbeitet.

„Stell dir mal vor Mama. Die in der Werkstatt sagen doch tatsächlich, dass ich nicht singen kann! Kannst du dir das vorstellen?“ Ich schaute meinen Günter an und schaute Sascha an :“ Wie nun? Tatsächlich? Wie können die nur so etwas behaupten?“ und hatte Mühe mein Schmunzeln zu verbergen. Denn, wenn Sascha singt, vor allen Dingen mit Kopfhörerknöpfchen und seine Rap- Lieblingssongs im Ohr, gehen selbst die Katzen flöten und flüchten, was das Zeug hält. Gerade aber, was das Singen angeht, besitzt er ein unerschütterliches Selbstvertrauen und hält sich wacker daran fest, dass ich als Mama mein Talent ja nur von ihm geerbt haben muss.

„Wirklich Mama! Das kann ich nun mal gar nicht verstehen! Da muss ich doch ganz bald ein Machtwort sprechen, dass mir das, wenn die das wieder behaupten, links ins Ohr reingeht und rechts wieder rausgeht. Da reg ich mich ja so drüber auf, das mir aber auch ganz egal ist, was die sagen und behaupten. Kann das aber auch gar nicht verstehen. Wenn sie die Lieder hören, die du gesungen hast, sagen sie, das ist gut. Doch du hast dein Talent doch von mir geerbt. Da können die doch nicht einfach so behaupten, ich könnte nicht singen! Das passt doch gar nicht zusammen, die wissen gar nicht, was die sagen. Ach, ok, aber ich reg mich darüber auch überhaupt nicht auf, weißt du? Ich mach es nun so, gebe halt nach, denn ich weiß, dass der Klügere nachgibt.“

Dies alles kam wie aus einem Guss, aus einem Schwall einfach so über Saschas Lippen mit sämtlichen Gebärden, die Redende gebärden können, dass wir uns nur mit Mühe ein lautes Loslachen verkneifen konnten. Er regte sich auf und regte sich ab, gebärdete wie wild und widersprach sich gleich mehrmals innerhalb eines Satzes. Mein Superstar Sascha, wie er leibt und lebt und wie ich ihn liebe.

Am Nachmittag sind wir dann zum Geburtstag seiner Oma und meiner Mutter gefahren. Sascha hatte es bei seiner Geburt doch vorgezogen, einen Tag länger in meinem Bauch zu verbringen. Am Abend kehrte er dann wieder in sein Zuhause zurück, um für den nächsten Tag fit zu sein und am Tag der Tage ein wenig für die Kaffeetafel vorzubereiten und das Esszimmer mit Hilfe  zu schmücken.

Ich hatte meinerseits auch genügend zu tun. Zutaten für den Kuchen, dachte ich, sind allesamt da und habe am Vortag auch einen Weißkohl mitgenommen, der mich in der Auslage anlächelte und sich meinen Augen und Armen förmlich entgegen warf. „Ja genau! Kohlrouladen, die hast du schon so lange nicht mehr gemacht, dass du auch gar nicht mehr richtig weißt, wie sie zubereitet werden“, dachte ich so bei mir und der „Kopf“ landete im Wagen. Die nötigen weiteren Zutaten wurden dazu gepackt, eingekauft und mitsamt den Dingen für die Torte fanden sie dann gestern Platz auf der Arbeitsplatte in der Küche.

Plan war nun, die Planung und Durchführung beider Koch- Back- Dekorier- Aktionen zeitgleich miteinander in optimalem Arbeitsablaufplan in die Tat umzusetzen. Mein Mann hatte sich schon zuvor zu einem Termin verabschiedet und ich stand allein in der Küche und dachte: “Ok, fange ich einfach mal an.“ Wasser für das Blanchieren des Kohls aufsetzen, den Kohl von seinen Blättern befreien, waschen und zurecht legen. Nun die vor- gebackenen Bisquitböden mit Tortenring bereitstellen. Sahne schlagen und die Kirschen aufsetzen. Bis dahin war alles so weit von der Planung und Durchführung gut gelaufen und ich hatte ein gutes Gefühl.

Die Sahne war noch nicht ganz fertig, da klingelte das Telefon, meine Tochter am Apparat: „ Mama? Guten Morgen, wie geht es dir?“ „ Mir soweit ganz gut Liebes, aber ich bin ziemlich beschäftigt, bin am Kochen und muss noch die Torte für Sascha machen“ „ Ach so, ja ok. Ich wollte auch gleich Leon in den Kindergarten bringen und danach vorbeikommen, um meine Bewerbungen für die Lehrstellen bei dir weiter zu schreiben, die müssten heute auch raus“ „  Ja Kind, dann bring den Kleinen erst mal weg. Doch ich kann dir später nicht viel helfen, solange ich noch in der Küche beschäftigt bin. Ok, bis gleich dann wieder.“ Sprach`s, legte auf und widmete mich wieder meiner Arbeit.

Die Kohlblätter lagen bereits im köchelnden Wasser. Die Kirschen warteten mit langsam aufsteigendem Dampfschleier auf ihren Siedepunkt. „Schnell noch ein wenig abschmecken, einen winzigen Schuss Rum dazu, so hatte ich das doch immer gemacht, oder etwa doch nicht?“ „ Oh nein! der kam doch in die zweite Sahnecremeschicht als I-Aroma- Tüpfelchen hinzu!“ Doch zu spät, vor lauter Schreck, weil während des Gießen des winzigen Schusses als Geistesblitz im Geiste aufgetaucht, sind dann bestimmt mindestens ein Schnapsglas voll im Topf gelandet und im Kirschsaft abgetaucht!

Dann ging mir so durch den Kopf:“ In Schwarzwälder Kirschtorte gehört aber nun mal auch obligatorisch Kirschwasser, wodurch diese Torte erst den Namen auch verdient. Also, was tun?“ In meinen Gedankengängen hörte ich dann das Telefon abermals klingeln: „ Muss das denn jetzt schon wieder sein?“ dachte ich und ging dran:“ Hallo Mama, Sabrina hier“ Ich sagte:“ Sabrina, du weißt doch, ich bin beschäftigt und muss aufpassen, dass mir hier nicht alles drunter und drüber geht!“ „Mama? Weißt du was passiert ist?“ Ich:“Nein, was ist denn los, mit dem Kleinen und dir ist aber alles in Ordnung, oder?“ „Ja“ sagte sie „ Aber der Leon hat was angestellt und ich muss mich jetzt erst mal darum kümmern. Wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich später komme“ „ Was ist denn passiert? Aber erzähl schnell, ich muss hier auch vorankommen. Es steht alles auf dem Herd und wartet auf mich!“

„Der Leon hat die Rennmaus aus ihrem Käfig raus geholt“ „Was?? Die Maus, oh nein! Da läuft die nun in der Wohnung rum?“ „Ja, Mama und dabei ist es bei den mongolischen Rennmäusen wohl auch so, dass sie bei Gefahr, wie bei den Reptilien, ihren Schwanz abwerfen können. Leon hat die Maus wohl am Schwanz versucht, aus dem Käfig heraus zu ziehen, als ich nur gerade kurz in der Küche war. Das ging alles viel zu schnell! Nun sitzt die Maus hinter dem Meerschweinchen- Käfig und traut sich nicht raus und ich trau mich nicht, sie anzufassen. Vor Leons Zimmer liegt auch irgendwie ein Stück Fell mit Mauseschwanz dran, sowas ekliges auf jeden Fall! Das muss Basti wegräumen, wenn er von der Arbeit kommt. Das ist ja auch schließlich seine Maus und ich mach das nicht! Ich muss jetzt erst mal die Maus einfangen und besser mit ihr zur Tierärztin gehen, damit sie sich das Tier anschauen kann. Davor muss ich Leon aber in den Kindergarten bringen. Also komme ich dann später bei dir vorbei. Also, ich melde mich, sobald ich genaueres weiß. Bis später dann, hab dich lieb und tschüss.“

Toll, dachte ich! Eine freilaufende Rennmaus, rennend in der Wohnung, mich schüttelt es jetzt noch bei dem Gedanken. Jedem Wesen sein Leben und ich habe auch ein riesen großes Herz für Tiere. Selbst einer kleinen Maus, die sich damals, als ich Kind war, in einer Mausefalle verfangen hatte, aber noch lebte, habe ich gerettet und sie frei gelassen, weil sie mir zu leid tat. „Aber bitte, bitte ihr Mäuse und Ratten, ich rette euch, wenn`s sein muss aber bleibt mir sonst bloß fern, sonst schrei ich los!“

Ich widmete mich nun wieder meinen „Rum-ertränkten“ Kirschen und dachte weiter nach. „Kirschwasser rein. Sollst du oder doch besser nicht? Na, wenigstens einen winzigen Tropfen, damit ich den Kuchen nicht umtaufen muss“ Dachte und tat, wie ich es vorhatte, wobei aus dem einen Tropfen, mengenmäßig mindestens ebenso viel wie vorher von dem Rum wurde. „Alkohol, ick hör dir schon trappsen“ und musste trotz meiner Dusseligkeit lachen. Habe mir dann ausgerechnet, dass ich höchstens ein einziges Stück genehmigen dürfte, um keinen Schwips davon zu tragen, wo ich doch schon nach einem halben Glas Sekt, Wein oder Bier schon beinahe die Englein- Chöre in den höchsten Sing-Tönen nach zu ahmen versuche. Schlussendlich kann ich dann auch diesen „Teufelskuchen“ auch nicht mit ins Wohnhaus nehmen, will ich dort keine, über Tische und Bänke tanzende Gesellschaft riskieren. Also, die „Teufels- Torte“ fertig gestellt, ab in den Kühlschrank und neuen Kuchen gebacken. Rodonkuchen und ab in den Ofen, ohne Alkohol aber mit jeder Menge Straciatella- Schoko- Flocken im Kuchenleib.

Wieder mal ging das Telefon. Meine Tochter, wer sonst wieder mal? :“ Mama? Ich war jetzt mit der Maus bei der Tierärztin und musste sie dort lassen“ „ Wieso?“ fragte ich. „ War es doch so schlimm mit den Verletzungen?“ „ Na ja, es geht so“ meinte Sabrina „ Die Maus wird nun operiert. Es muss genäht werden, damit sich die Wunde nicht entzünden kann. Um zwölf soll ich sie wieder abholen. Dabei wollte ich schon längst zu dir kommen, um endlich meine Unterlagen fertig zu machen. Ach was, ich mach es nun so. Wenn ich die Maus abgeholt habe, darf ich sie nicht alleine lassen. Dann bring ich sie mit zu dir und dann mach ich schnell meine Bewerbungen fertig und fahre dann mit dem Bus wieder zurück.“

Ich schrak auf:“ Nein, nein, auf keinen Fall! Nie und nimmer bringst du hier eine Maus mit! Nicht hier in die Wohnung! Willst du, dass ich `nen Herzinfarkt bekomme?“ „ Ach Mama, die kann doch nicht raus aus der Transportbox. Da bist du ganz sicher und brauchst keine Sorgen zu haben!“ „ Nein Sabrina! Auf gar keinen Fall kommst du hier mit der Maus rein! Kümmer dich um die Maus und bring sie nach Hause. Es tut ihr auch nicht gut, mit dem Bus hierhin transportiert zu werden und nachher wieder zurück! Geh nach Hause und dann verschieben wir das mit den Bewerbungen halt auf morgen!“ „ Ooch Mama, nun stell dich doch nicht so an, aber ok, dann geh ich halt mit der Maus nach Hause. Aber du bist ja auch daran Schuld, was passiert ist, wollte ich ja nur mal gesagt haben.“ „Wieso sollte ich denn daran Schuld haben? Leon hat die Maus rausgeholt. Ihr, als Eltern hättet eigentlich die Pflicht gehabt, das Mäuseterrarium kindersicher zu  verschließen, dass der Kleine dort nicht dran kommt! Ich war das nicht!“

„Doch, du hast dem Leon erzählt, dass du keine Mäuse und Ratten magst“ meinte Sabrina „ Leon mochte vorher auch Mäuse, nun aber wegen dir nicht mehr und er hat mir gesagt, dass er sie deswegen rausgeholt hat um sie zu streicheln.“

Die Logik dahinter, warum ich gerade deswegen die Mitschuld haben sollte, erschließt sich mir allerdings selbst heute noch nicht, während des Schreibens hier *lächel*

Die Maus und Sabrina sind dann letztendlich doch nach Hause und mein Töchterlein kam dann ein wenig später alleine vorbei. Währenddessen  hatte ich beide Kuchen schon fertig, den einen im Kühlschrank und der andere bräunte sich noch unter der Höhensonne des Backofens. Die Kohlrouladen waren in verwickelten Wickeltaschen auch bereits im Topf und meine Küche sah aus, wie nach einem Schlachtfest. Letztendlich hat mir mein allerliebstes Töchterchen dann noch beim Spülen geholfen, wofür ich ihr sehr dankbar war.

Schnell noch ins Bad unter die Dusche in frische Klamotten rein. Sabrina fuhr wieder nach Hause, um am Spätnachmittag mit ihrem Anhang zu Saschas Geburtstagskaffee zu erscheinen. Meine Mutter kam zu uns und gemeinsam mit meinem Herzblatt machten wir uns auf den Weg zu Sascha. Im Gepäck hatten wir dann den Straciatella- Rührkuchen mit Puderzuckerhaube. Ich versöhnte mich während der Fahrt wieder mit mir selbst und konnte mich auch nun auf die Feier bei und mit meinem Sohn freuen. Ende gut, alles gut, Tag war gut!

Einen wunderbaren, stressfreien Tag wünsche ich auch euch

Liebe Grüße

Heike