Nun habe ich etwas angestellt!
Oder eher noch, was hat man mit mir angestellt?
Ich habe noch in den letzten Tagen, Wochen und Monaten gedacht, dass ich so langsam in die Jahre kommend, erhaben bin und alles weiß über dieses kleine Ding, das sich da Leben nennt.
Nichts da!
Habe ich mir auch nur erträumt und gewünscht! Dass ich, Heike, nicht Traumfrau, jedoch Frau des Traumes und Frau meines Traummanns, mittlerweile in das Alter komme, alles im Durchblick zu haben, den Honigtopf, gefüllt mit Weisheit gefunden und mit großen Löffeln genießend durch mein kleines Leben wandere. Mein Wunsch und mein Traum sind mal wieder mit einem Schlag in einer Schaumluftblase meines Spülwassers zerplatzt. Einfach so, ohne Rücksicht auf mein zartes Gemüt. Nun stehe ich wieder da. Wieder mit leeren Händen, leerem Kopf und der Honigtopf der Weisheiten hat sich vor lauter Angst ins letzte Eckchen verkrochen. Wer mich so in diese ausweglose Situation gebracht hat? Ich trau mich ja kaum, den, diesen, seinen Namen zu nennen. Diese Person, die das vollbracht hat, hat nicht einmal Ähnlichkeit mit einem zweistöckigen Spielkartenhaus, geschweige denn, ist so groß wie ein solches.
Da kommt doch tatsächlich so ein kleiner Knirps daher, nennt sich Enkel und rennt meine ganze Weisheit wieder in Grund und Boden, bevor ich mich an mein neu erkanntes Wissen gewöhnen konnte. Dass ich das aber auch nicht gemerkt habe, wie der Kleine mich untergräbt, mich in die linke Hosentasche hinein und rechts wieder herauszieht. Mich verknotet und am ausgestreckten Arm verdummen lässt. Das Ganze dann auch noch, wenn ich selbst dabei bin und es doch hätte erkennen müssen. Hatte ich schon erwähnt, dass der Wunderknabe gerade mal 5 Jahre auf die Lebenswaage bringt? Ist das nicht beschämend für mich, wo ich doch 10-mal so alt bin?
Nun aber raus aus der Badewanne meines Selbstmitleidschaumbad! Rede und Antwort stehen, warum, weshalb, wieso! So, wie es sich gehört für eine gestandene Frau, die nun eine starke Schulter braucht. Solange diese starke Schulter keinen Trost für mich hat, lehne ich meinen armen Kopf halt an den Türrahmen.
Jetzt komme ich endlich dem Grund des Geschehens und meiner, wie üblich kurzen Einleitung näher und möchte getröstet und gestärkt berichten, was sich zugetragen hat.
Mein kleiner Enkel hat mich ausgetrickst. Er hat mich die ganze Zeit ausgetrickst und getestet, inwieweit ich auf seine Zaubertricks herein falle. Mit ganz vielen kleinen Tests ist er gewieft an die Sache heran gegangen. Wenn er so auf dem Sofa lag zur Kinderstundenzeit, die Augen geschlossen, ich ihn beobachtete und er die Augen plötzlich aufschlug: „ Oma?“ grinste dabei : „Oma, weißt du was? Ich habe dich ausgetrickst und du hast das nicht gemerkt, stimmts?“ Oder wenn er mit glucksendem Flüsterlachen unter dem Sessel lag, sein kleiner Fuß schaute daraus hervor und wippte vor lauter Begeisterung. „ Oma ich habe dich schon wieder ausgetrickst, ich habe mich nur versteckt und du hast mich nicht gefunden!“ Oder auch, wenn ich ihm gesagt habe: „Leon, nein, es gibt jetzt nichts Süßes. Erst wird Mittag gegessen und danach können wir darüber nochmal reden, wenn du aufgegessen hast.“ Mehr als einmal oder fast immer musste er danach ganz plötzlich zu Opa ins andere Zimmer und kam wieder mit einem Schmunzelmund, auf dem Schoko- oder Kekskrümel klebten. „ Ich habe nur den Opa besucht und habe gesagt, dass wir bald essen müssen.“
Diese ganzen Tricks waren schon Vorarbeit zu seinem ganz großen besonderen Clou, der bestimmt schon die ganze Zeit in seinem Kopf heran gereift ist.
Wie ich bereits in einer der vorherigen Geschichten erzählt habe, war der kleine Mann ja schon über zwei Wochen Anfang Januar Dauergast bei Oma und Opa. Teils, weil seine Mama in den Prüfungen steckte und gleichzeitig krank war und Leon selbst auch von einer blöden Grippe mit Fieber übermannt wurde und viel Pflege und Gesundmach- Streicheleinheiten brauchte. Von seinem zweiwöchigen Besuch bei uns bis zu seinem jetzigen Übernachtungs- Aufenthalt von zwei Nächten sind jetzt gerade mal etwa eine Woche vergangen.
Schon bei seinem ersten Dauerbesuch brachte er ganz viel an Spielzeug mit. Vieles dabei, was er zu Weihnachten geschenkt bekam, ein tolles großes Schiff von Playmobil mit allem Schnickschnack, einige coole Autos, Bücher mit Vorlese- und Erklärstift namens Tiptoi (ist schon Wahnsinn, was es heutzutage alles gibt) Fast nichts, was es nicht gibt. Seine große Box mit Bügelperlen, gebastelte Papierflieger und gemalte Bilder stapelten sich hier schon vorher in Massen. Als er vom ersten Dauerbesuch erst einmal wieder nach Hause geholt wurde, hat er fast nichts von seinen Spielsachen mitnehmen wollen. „Das bleibt hier bei Opa und Oma.“ waren seine Worte. Jetzt, beim letzten Besuch brachte er wiederum weitere Dinge mit, die ihm wichtig sind. Wir haben uns schon die ganze Zeit gewundert, warum er das macht. Aber ok, es ist ein Kind und da fliegen manchmal die komischsten Gedanken in den Köpfen rum.
Nun hatte er, als er hier war, die Grippe noch nicht ganz überwunden. Es waren noch genügend Schnupfen und Husten übergeblieben für die er Medikamente dabei hatte. Ich habe ihm dann nach Vorgabe 3 x am Tag von seinem Hustensaft gegeben. Hin und wieder lief er dann urplötzlich zu der Tasche, in dem der Saft war, holte sie aus der Umverpackung und prüfte die Menge des Inhalts. Dabei überlegte er, wie lange er noch davon nehmen muss, bis die Flasche leer ist. „ Oma, da brauche ich bestimmt noch viele Tage, bis alles weg ist, oder? Du musst auch daran denken, dass du mir immer von der „Melizin“ gibst. Solange, bis die leer ist, ja?“
Selbst da schwante mir noch nichts. Bei dieser Aussage hätten sich sämtliche Warnsignale in mir melden müssen! Aber nichts tat sich und ich sagte nur: „Kein Problem Leon! Da achte ich schon drauf.“
Gestern gegen Abend nun. Leon wusste, dass seine Mama und sein Papa kamen, um ihn wieder abzuholen, saßen wir zunächst am Tisch und haben uns die neuesten Neuigkeiten erzählt. Töchterchen Sabrina entrüstete sich gerade über die Meldungen der Ortszeitung und den neuesten Planungen. Leons Papa saß, in sich versunken und betrachtete an seinem iPhone die neuesten, eingestellten Dinge vom 1-2-3 Portal. Leon hatte sich mittlerweile wieder die Stiefelchen ausgezogen und waltete seines Spiel- und Turnamtes. Ich saß da so mittendrin und betrachtete dieses Intermezzo und mit halbem Ohr und Auge, dem Erguss meiner Tochter folgend. Die andere Hälfte hatte Leon fest im Blick.
Nun, endlich fertig mit erzählen und meiner versteckt hingeworfenen Gähnattacke, ging es dann daran „schlafende Gemüter“ wieder zu erwecken und zum Aufbruch animieren. Leon, gerade mit Jacke, Schal und Mütze bestückt, entledigte sich seines Kleidungsballastes und sagte: „Ich will hier bei Oma bleiben. Ich habe schon gesagt, dass ich hier noch schlafen will! Ihr könnt auch ohne mich nach Hause fahren!“ „Aber Leon! Das war doch klar, dass wir dich heute wieder abholen. Die Oma und der Opa sind auch froh, wenn sie wieder ein bisschen Ruhe haben. Du kannst ja bald wieder her kommen.“ Alle Versuche, den kleinen Mann davon zu überzeugen, schlugen fehl und brachten ihn dann letztendlich in die Position eines herzschmerzergreifenden, weinenden kleinen Knirps, der sich von der Welt und allem unverstanden fühlt.
Mein Töchterlein meinte: „ Du kannst doch nicht hier bei Oma und Opa wohnen! Du wohnst doch bei uns und da hast du doch auch dein Bett und deine Spielsachen!“ „Doch, kann ich wohl! Ich habe hier schon ganz viel Spielzeug. Da kann ich auch hier bleiben!“ So! Nun haben wir`s! Dieses kleine, so kluge Kerlchen hat doch tatsächlich geschafft, uns alle an der Nase herum zu führen. Bringt nach und nach und peu à peu seine ganzen Lieblingsspielsachen zu Oma und Opa mit und lagert sie dort, damit sein Umzug schon mal gesichert ist. Dieses kleine, weinende Bündel hätte mich beinahe dazu gebracht, zu sagen: „Okay, dann bleib doch noch eine Nacht hier.“ Aber ich habe es mir verbissen, da ich heute wieder einen Termin und die Zeit heute Morgen einfach nicht habe um meinen kleinen Enkelschatz mit einem tollen Kinderfrühstück zu verwöhnen.
Irgendwann haben es die Mama und der Papa doch noch geschafft, dieses weinende Etwas aus der Tür zu befördern und die weitere Diskussion ging dann im Hausflur mindestens noch eine Viertelstunde weiter. Eine Stunde später rief ich dann Sabrina an und fragte voll schlechtem Gewissen, ob Leon sich denn nun beruhigt hat und sie meinte: „Ja, nun hat er sich beruhigt. Aber das hat der noch nie gemacht. Sich auch solange damit dran gehalten. Ach Mama, du bist einfach zu lieb!“
Kann man überhaupt zu lieb sein, frage ich mich nun? Ich werde darüber nachdenken. Wenn sich nun mein Enkel auch hier mit seinem geplanten und heimlichen Umzug verplant hat und es nicht so funktioniert hat, wie er so schlau in die Wege geleitet hat und dabei alle Beteiligten ausgetrickst hat, hat er eines schon ganz lange geschafft.
Er wohnt schon ganz lange bei mir, denn in meinem Herzen hat er sowieso Wohnrecht auf Lebenszeit.
Euch allen einen wundervollen Start in den heutigen Tag