Schlagwörter
Abschied, Dankbarkeit, Erinnerungen, Herbst, Herbstgedanken, Tod, Trauer, Trauerbegleitung
Es ist früh und noch früher am Morgen, fast mitten in der Nacht. Wachgelegen habe ich gefühlt schon seit Stunden. Meine gesamten Einschlafpositionen brachten mich und meinen Körper nicht mehr in das Land der Träume. Es half nichts, rein gar nichts. Nicht einmal das Bewusstsein, dass heute Sonntag ist. Irgendwann gab ich auf, schickte meine Gedanken voraus ins Bad und schlurfte selbst hinterher. Selbst das Wasser, mit dem ich sonst den Schlaf aus den Augen vertreibe, ist heute irgendwie kälter als sonst.
Einzig und alleine meine Kaffeemaschine tut, was sie jeden Morgen mit Elan tut und mein Kaffee ist in Windeseile im Bauch meiner Lieblingstasse verschwunden, füllt diese mit wohltuender Wärme. Ich stehe derweil am Fenster und sehe schwarz. Der Himmel hat sein dunkles Nachtgewand noch um und denkt noch lange nicht ans aufstehen. Kein Vogelgezwitscher und kein Lichtstreifen am Horizont.
So langsam wird mir klar, dass der Sommer seinen Abschied genommen hat. Der Lauf des Jahres ist nun beim Herbst angekommen, der durchaus auch wunderschöne Seiten und Tage zu bieten hat. Die warmen Herbstfarben im späten Sonnenlicht, die bunten Bäume in ihrem farbenprächtigen Laub. Es gibt nichts schöneres, als mit ausgebreitenden Armen im bunten Laubhaufen zu wühlen und ihn mit Schwung in die Luft zu werfen. Dabei unter dem herabfallenden Blätterlaub zu stehen, ist eine Freude, die Erinnerungen an die glücklicheren Tage der Kindheit hervorruft und ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Die Jahreszeiten kommen und gehen. Dabei hat jede Zeit seine Zeit und jede Zeit beinhaltet auch ein Wiedersehen sowie einen Abschied.
Vom Abschiednehmen der besonderen Art möchte ich euch heute erzählen. In der letzten Erzählung habe ich euch von Hildegard (*Name geändert) berichtet, die ich gemeinsam mit meiner Kollegin im Leben betreut und auch in ihrer Sterbephase ein wenig begleitet habe.
Als die unumstößliche Diagnose des Pankreaskrebs gestellt war und die Heilungschancen bei Null lagen, haben wir überlegt, wie wir Hildegard bestmöglich unterstützen können und es ihr in den letzten Wochen und Monaten, die ihr verbleiben, ein wenig erleichtern können. Von den Sterbephasen und dem Lebensabschied an sich, habe ich bereits im vorherigen Beitrag berichtet.
Im folgenden wird es hier um die Trauerbegleitung der Tagesstrukturgruppe (TSG) gehen, an der Hildegard vor ihrem Weggang für längere Zeit teilnahm.
Hier nun ein Auszug aus einem erstellten Eigenanteil bzgl. der Trauerbegleitung während meiner HEP- Ausbildung:
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Im Rahmen einer durchgeführten Ferienfreizeit nach Holland erfuhren wir am letzten Abend unseres Aufenthalts vom Tod von Frau H. In einem weiteren Eigenanteil (Oktober 2019) berichtete ich bereits über die Sterbebegleitung von Frau H.
Die meisten Teilnehmer der Tagesstrukturgruppe nahmen auch an der Ferienfreizeit nach Holland teil. Die Freundin (TN der Ferienfreizeit und Klientin) von Frau H. erfuhr neben uns auch durch den Anruf des Sohnes vom Tod Frau H. Die Information breitete sich unter den Teilnehmern der Ferienfreizeit schnell aus und die Stimmung war an diesem Abend sehr betrübt. Einige suchten das Gespräch zu uns Betreuern, um Trost zu erfahren. Andere wiederum wollten alleine sein. Jeder ging auf seine eigene Weise mit der Trauer um. Dadurch, dass alle gleichzeitig die Nachricht über den Verlust erfahren hat, war es für uns Betreuer nicht einfach, jedem kurzfristig gerecht zu werden. In dieser Situation war es nun auch wichtig, dass wir unsere eigene Traurigkeit mit der nötigen Abgrenzung verarbeiten mussten, da wir zuerst für die Klienten da sein mussten.
Zum Thema Trauer
Trauer ist ein Prozess des Alltags, mit dem wir alle im Laufe des Lebens konfrontiert werden. Jeder geht aufgrund eigener Vorgeschichten anders mit der Bewältigung um.
Menschen mit Bindungsstörungen[1] erleben einen Verlust in anderer Weise als ein Mensch, der behütet aufwuchs. Alles hat seinen Platz in der Trauerarbeit. Wut, Zorn, Traurigkeit, Schweigen und Tränen finden darin Ausdruck. Angenehme Erinnerungen, gemeinsame Erlebnisse können bei der Trauer hilfreich sein.
Die Beerdigung von Frau H. haben meine Kollegin, die Freundin von Frau H. und ich alleine begleitet. Die Verabschiedung der Gruppe habe ich nach Absprache auf einen anderen Tag verschoben.
Die Tagesstrukturgruppe ist eine gemischte Gruppe von Frauen und Männern. Nach unserer Ferienfreizeit und dem ersten Treffen in der Tagesstruktur haben wir eine Kerze und ein Foto von Frau H. auf den Tisch gestellt. In der Gesprächsrunde, welche ich moderiert habe, erinnerten wir uns an die gemeinsamen Erlebnisse mit Frau H. Im Laufe des Gesprächs befragte ich die TN nach möglichen Ideen für Verarbeitung von Trauer. Wir beschlossen, dass wir eine Blumenschale pflanzen und diesen gemeinsam mit der Gruppe zum Friedhof bringen, wo wir uns mit einem Zwiegespräch von Frau H. verabschieden. Eine weitere Idee war ein Fotoalbum mit Bildern von Frau H., welche sich im Laufe der Zeit durch verschiedene Freizeitaktionen und Urlauben angesammelt haben. Ein weiteres Album erhält der jüngste Sohn von Frau H.; sie hatten lt. Frau H.`s Aussage immer ein besonderes Verhältnis miteinander.
Mit diesen Überlegungen und der Auswahl an Strategien entstehen verschiedene Möglichkeiten der Trauerbewältigung und der Umgang damit. Rituale (z.B.: regelmäßige Gespräche, Friedhofbesuche) innerhalb der Gruppe geben Gelegenheit, sich auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen.
[1] https://de.psychologyinstructor.com/die-bindungstheorie-von-john-bowlby/
_______Ende des Auszugs Eigenanteil_____________________________
Der Abschied von einem Menschen ist und wird immer ein ganz besonderes Erlebnis sein, welches das gesamte Gefühlsspektrum in uns aufwühlt und uns mit Traurigkeit, Wut und auch Hilflosigkeit ausfüllt. Doch gleichzeitig kann es uns auch mit Dankbarkeit erfüllen, wenn wir die Möglichkeit hatten, uns zu verabschieden. Ebenso die Dankbarkeit, diesen Menschen ein Stück seines Lebensweges begleiten zu dürfen.
Ich für meinen Teil bin dankbar, diesen Menschen Hildegard kennengelernt zu haben und denke immer mal wieder gerne an sie zurück. Sie, die es wahrlich nicht einfach im Leben hatte, hat nun ihren Frieden gefunden und das Glück eines ewigen Schlafs, der sie vorsichtig hinübergetragen hat. Die Erinnerung bleibt und meine Gedanken umarmen sie sanft.