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Bild von Ulrike Leone auf Pixabay
Der Schlaf ist vorüber, der Morgen noch nicht ergraut und meine Gedanken sind wieder mal auf Reisen in eine Zeit vor fast genau einem Jahr.
Vor mir liegt ein Kleinod, welches ich verpacken möchte. Ein winziges und doch so großes Geschenk und ich weiß nicht, in welches Papier ich es einhüllen kann, damit es die Würde erhält, welches es verdient. Keins scheint mir passend genug für dieses wertvolle Etwas, das da nur darauf wartet. Das eine ist zu farblos, das andere zu schrill und ein weiteres zu nichtssagend. Zwischen den ganzen Geschenkpapieren entdecke ich nach langem Suchen ein zartes, brombeerfarbenes Seidenpapier auf dessen Oberfläche sich kleine bunte Schmetterlinge tummeln. Nicht viele, nur gerade so viele, die es bedarf, um das zarte Brombeer sanft zu unterstreichen.
Ganz vorsichtig halte ich das Kleinod in meinen Händen, streichle es achtsam und lege es in die Mitte des Papiers, packe es ein und verziere es mit einem Satinband. Nun, da ich es verpackt habe, kann ich es in die Schatztruhe legen. Die Schatztruhe birgt bereits viele solcher Geschenke in seinem großen Leib. Im Laufe der Jahre sind viele große und kleine Kostbarkeiten in diese Truhe gewandert. Jede davon hat eine ganz besondere Bedeutung. Diese Schatztruhe ist mein Leben und die Geschenke sind die Begegnungen und Erfahrungen in diesem meinen Erdendasein.
Was es nun mit diesem, in brombeerfarbenen Schmetterlingspapier eingepacktem Geschenk auf sich hat, mag ich euch nun erzählen.
Wie ihr bereits wisst, arbeite ich im ambulant betreuten Wohnen und wir begleiten Menschen mit psychischen und geistigen Beeinträchtigungen in ihrem Alltag. Wir helfen und unterstützen dort, wo der Bedarf ist, fördern Eigenständigkeiten, sind Seelentröster, Zuhörer und Mutmacher, wenn es mal an allem fehlt. Unser Ziel ist es, uns irgendwann entbehrlich zu machen. Dann hat der Mensch soviel Selbstständigkeit erreicht, dass er sein Leben selbst in die Hand nehmen kann.
Soviel als kurze Einleitung, bevor ich weiter erzähle.
Es begann 2017, als ich in einer Betreuung, gemeinsam mit meiner Kollegin eingesetzt wurde, eine Frau, nennen wir sie hier mal Hildegard B., zu begleiten.
Auszug aus meinem Eigenanteil, den ich während meiner HEP-Ausbildung geschrieben habe:
Hildegard B. 69 Jahre, verwitwet, Mutter von fünf Kindern und war in der alltäglichen Lebensführung aufgrund einer rezidivierenden Depressiven Störung umfassend eingeschränkt. Hildegard wohnte in einer Seniorenwohnung und erhält durch einen hauseigenen Pflegedienst weitere Hilfe.
Bereits im Oktober klagte Frau B. über häufige Diarrhö. Die Besuche bei der Hausärztin brachten nicht die gewünschte intensivere Ursachensuche und Frau B. äußerte irgendwann den Wunsch, den Arzt zu wechseln. Ein neuer Internist wurde aufgesucht, der sich eingehend mit Frau B`s Beschwerden beschäftigte und so wurde im November 2018 ein Pankreaskarzinom festgestellt, welches inoperabel ist und bereits andere Organe angegriffen hatte. Einige Chemotherapien folgten, welche sie zunächst, den Umständen entsprechend, körperlich relativ gut und psychisch mithilfe häufiger Gespräche mit uns Betreuern verarbeitete.
Der Tod und die Begleitung eines Menschen in den Sterbephasen stellt für alle Beteiligten eine große Herausforderung dar und benötigt eine größtmögliche Sensibilisierung im respektvollem und angemessenen Umgang miteinander.
Geeignete Fachtheorien sind hier mit Sicherheit der von Carl Rogers (amerikanischer Psychologe und Psychotherapeut, *1902- +1987) geschaffener klientenzentrierter Ansatz der Gesprächsführung u.a. in der alltäglichen pädagogischen Arbeit mit Klienten. Carl Rogers legte besonderen Wert auf die Begegnung im voll- menschlichen Sinn- d.h. unter Einschluss der emotionalen Ebene, der nonverbalen Äußerungen, des gegenseitigen prinzipiellen Wohlwollens. Carl Rogers verstand seine Prinzipien nicht als Methode, sondern als eine Haltung, die der Berater für sich verinnerlicht. Er formulierte dabei drei wichtige, grundlegende Prinzipien: Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit (Kongruenz), Wertschätzung und Respekt (Akzeptanz) und Einfühlendes Verstehen und dessen Verbalisierung (Empathie)
Mit dieser Grundhaltung in der Begleitung eines sterbenden Menschen hat man eine wichtige und gute Basis geschaffen, um die betreffende Person bestmöglich auf dem letzten Weg zu begleiten.
Auch das gehört zu unseren Aufträgen innerhalb der Betreuung. Sicherlich eins der schwersten Aufgaben, da es uns selbst Grenzen aufzeigt und manches Mal auch hilflos werden lässt. Das Einzige, was wir tun können, ist für den anderen in der Zeit, in der er es benötigt, da zu sein, Verständnis für die Nöte zu haben, zuhören, beruhigen, trösten wenn es nötig ist oder einfach nur eine stumme Umarmung. Einfach Zeit verschenken, die der andere gerade so dringend braucht, um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Ein jeder möchte in Frieden mit sich selbst gehen und noch alles regeln, was möglich ist. Dabei können wir alle einen kleinen Beitrag leisten, um den Abschied leichter zu machen.
Das, was ich damit zum Ausdruck bringen möchte, ist nicht einfach zu beschreiben. Der Abschied von einem Menschen ist immer eins der schwierigsten Dinge im Leben. Ob es nun im engen Familien- oder Freundeskreis passiert oder auch im Arbeitsumfeld spielt dabei nur in der Intensität eine andere Rolle. Hildegard und ich haben in der Zeit der Betreuung ein gute , stabile Arbeitsbeziehung aufbauen können, die sich von großem Vertrauen und Herzlichkeit ernährte. Ich mochte sie gerne und habe mich stets auf die gemeinsamen Termine gefreut. Selbst, als sie zum Schluss in das Hospiz einzog und damit aus der ambulanten Betreuung ausgeschieden ist, habe ich sie noch einige Male im Hospiz besucht. Sie freute sich stets über meine Besuche und wir saßen oft auf der Terrasse des liebevoll gestalteten Gartens des Hauses und unterhielten uns. Zu dem Zeitpunkt hat sie bereits Frieden mit sich und dem nahenden Weggang geschlossen.
In der Woche vor der Ferienfreizeit mit Klienten nach Holland, an der sie noch so gerne teilgenommen hätte, besuchte ich sie noch ein letztes Mal. Sie war zu dem Zeitpunkt immer sehr müde und schlief viel. Anfang September 2019 schlief sie friedlich ein und fand die Ruhe und den Frieden, der ihr zu Lebzeiten oft nicht vergönnt war. Wir erhielten die Nachricht an unserem letzten Tag der Ferienfreizeit.
Gerade heute habe ich mal wieder an Hildegard B. gedacht und ich bin dankbar, dass ich sie auf diesem letzten Weg noch ein wenig begleiten durfte und ihr bei manchen Hürden die Hand reichen konnte. Nun packe ich das brombeerfarbene Päckchen wieder ein, binde das Satinband wieder zur Schleife und lege es vorsichtig in die Schatzkiste zurück.
Euch allen wünsche ich einen wunderbaren und sonnigen Sonntag mit vielen Wohlfühl- und Lächeleinheiten in euren ❤ und um euch herum!