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Vorsicht, etwas länger…. ❤
Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen hieß es schon damals im Märchen von Aschenbrödel. Solange es Leben auf der Erde gibt, so lange gibt es auch Emotionen.
Emotionen begleiten uns bei allem, wo wir gehen, stehen und was wir auch immer tun. Gefühle können uns umhüllen in eine warme, angenehme Brise im Sommer oder anstacheln wie ein wirbeliger Herbstwind oder auch wie ein Frosthauch im Winter, der uns eiskalt erwischt und uns frieren lässt.
Gefühle geben uns den Weg vor und es gibt viele davon.
Die Amygdala sitzt in unserem Gehirn und ist verantwortlich für die Verarbeitung der Sinneseindrücke, die uns tagtäglich zu jeder Sekunde begegnen. Das Wort Amygdala ist aus dem altgriechischen und bedeutet soviel wie Mandel.
Die Amygdala bewertet die Sinneseindrücke und ist besonders wichtig, wenn es darum geht, Gefahrensituationen zu erkennen.
Wenn die Amygdala eine Situation bewertet, werden die Informationen in die Nervenbahnen gesendet und entsprechende Botenstoffe wie Serotonin, Dopamin oder Adrenalin werden ausgeschüttet. Das führt dazu, dass der Mensch angemessen auf die jeweilige Situation reagieren kann.
Jede Erfahrung, die wir machen und alles was wir lernen wird im Gehirn mit dem entsprechenden Gefühl verknüpft, das wir in dieser Situation empfinden.
Um sich nun langsam auf „des Pudels Mandelkern“ und den Hintergrund meines heutigen Beitrags hin zu bewegen, möchte ich nur noch kurz erwähnen, dass unser Bewertungssystem nicht von Anfang an komplett ist, sondern wir lernen ab unserem Tag der Geburt hinzu, in welche Schublade wir unsere Emotionen ablegen. Wer z.B. noch nie einen Verlust erlitten hat, für den wird das Wort Trauer keine große Bedeutung haben. Gerade in den Anfangsjahren unserer Erdenzeit ist es wichtig, viele positive Emotionen zu erfahren, um Sicherheiten in unserem Tun und Resilienz zu entwickeln.
Sicherheiten braucht der Mensch wie die Luft zum atmen und diese entstehen bereits als Säugling mit den ersten Bindungserfahrungen. Sind diese positiv, wird bestenfalls auch der Mensch im Laufe seines Lebens mit beiden Beinen im Lebens stehen und für kleinere und mittlere Gefühlsstürme gewappnet sein. Zumindest die Basis ist hierfür geschaffen.
Mein Berufsfeld ist ein Sammelort der unterschiedlichsten Emotionen. Die ganze Spannbreite an überschwänglichen Glücksgefühlen bis hin zur Emotionsarmut und Sozialphobien ist alles dabei und das in verschiedenen Stärkegraden und Kreuzverbindungen.
In der Betreuung haben wir es nicht nur mit Menschen zu tun, welche Einschränkungen im geistigen und körperlichen Bereich haben. Viele sind auch an der Seele erkrankt. Besonders kompliziert wird es dann, wenn die vielfältigen Beeinträchtigungen sich in einem Körper vereinen. Hier gilt es, mit besonders viel Sensibilität mit den Menschen umzugehen. Ihnen Sicherheiten zu geben und man ihnen die Hand reicht, damit sie auf ihrem steinigen Wegen nicht ständig stolpern.
Ganz viele unserer Betreuten haben im Laufe ihres Lebens viel Leid und Gewalt erfahren müssen. Der Gefühlshaushalt ist oftmals ein Scherbenhaufen, der mit viel Sensibilität und Vertrauen schaffendem Beziehungsaufbau sortiert werden kann. Wenn man dann ganz viel Glück hat, schafft man es gemeinsam mit dem Klienten ein Mosaikbild zu legen, das ein wenig Frieden in der Seele des Menschen hinterlässt. Doch der Weg dorthin ist oft ein kaum durchdringbares Dickicht, der sich nur manchmal mit einem kleinen Lichtstrahl am Horizont verbindet und nur ganz selten führt der Weg hinaus in die „Normalität“. Vernarbte Verletzungen können jederzeit wieder aufbrechen und der Chaosqueen Einlass gewähren, die das zarte Mosaikgebilde wieder zum Einsturz bringt.
Mit meiner Kollegin betreue ich seit einigen Jahren Ramona, deren Name ich wie immer aus Datenschutzgründen geändert habe.
Ramona ist 62 Jahre, aber auf dem Stand einer Jugendlichen. Sie hat neben der geistigen Beeinträchtigung eine massive Beeinträchtigung der Seele, die sich oft auch in selbstverletzendem Verhalten zeigt. Wenn der Leidensdruck zu hoch wird, verletzt sie sich durch schneiden und verbrühen des Körpers, vor allen Dingen an den Unterarmen.
Über ihren Lebenslauf ist nicht viel bekannt. Sie wird aber aufgrund ihres Verhaltens viel an Leid und Gewalt erfahren haben. Ramona ist ein sehr gefühlsbetonter Mensch, von himmelhochjauchzend bis hin zu Tode betrübt, alle möglichen Facetten innerhalb ganz kurzer Zeit auf der Achterbahn der Gefühle zeigen kann. In ihren kognitiven Fähigkeiten hat sie eine starke Beeinträchtigung und versteht vieles nicht oder nimmt es anders wahr, als es ist. Hier benötigt man eine gehörige Portion von Sensibilität während der Betreuungszeiten und auch mal eine stoische Gelassenheit, wenn sie mal wieder am Wochenende den AB des Diensthandys mit Anrufen bombardiert und ihre Wut ablässt.
Meine Kollegin und ich haben mit der Zeit ein recht gutes Vertrauensverhältnis zu Ramona aufbauen können. In ihrem tiefsten Inneren mag sie uns, kann uns aber auch im nächsten Moment „verteufeln“ wenn sie meint, dass wir sie in ihren Wünschen nicht wahrnehmen und ihr Horten von den verschiedensten Dingen eindämmen. Beim letzten Besuch hat sie so z.B. 22 Flaschen Shampoo, abwechselnd in grün und gelb auf der Ablage fein säuberlich aufgereiht, 14 Sechserpacks kleine Wasserflaschen, sicherlich 200 Mikrofasertücher und die vielen Rollen Küchentücher einzeln geblättert und auf einen Stapel gelegt. Nun könnte ich noch viele weitere Dinge aufzählen, die sie hortet. Aber für einen kleinen Einblick reicht das aus 😉 Und bei jedem Einkauf hat sie Sorge, dass sie nicht genügend von diesem und jenem hat und kauft immer mehr und immer wieder von den Dingen, bei denen selbst Großfamilien auf die Bremse treten würden.
Zu ihren großen Leidenschaften gehören auch die täglichen Sammelaktionen von Pfandflaschen. Bei Wind und Wetter streift sie am frühen Morgen, fast noch in der Nacht, vor der Arbeit in der WfbM (Werkstatt für beeinträchtigte Menschen) in der Stadt und den umliegenden Gebieten umher und sammelt Leergut. Seit wann und warum diese Zwangsleidenschaft entstanden ist, weiß niemand so genau. So erreicht sie ein weiteres „Zubrot“ zu ihren regulären, eigentlich ausreichenden Geldzugängen.
Soweit nun der Einblick zum Leben und Umgang mit, in und um Ramona.
Wir sind in der Betreuung für Ramona dafür da, um ihr Leben zu begleiten und ihr Lösungsmöglichkeiten in schwierigen Situationen aufzuzeigen, damit sie es einfacher hat. Wir stehen ihr zur Seite, wenn sie Unterstützung, Beratung und Anleitung benötigt. Wir versuchen, ihr auch in den traurigen Momenten ihres Lebens zur Seite zu stehen und ihr Sicherheiten und auch mal eine Schulter zum Anlehnen zu geben.
Seit ich bei Ramona mit in der Betreuung eingesetzt wurde, tat es mir für sie immer leid, dass sie sich selbst immer wieder verletzt hat. Ich kannte sie nur mit verbundenen Armen. Die Haut an den Stellen war durch und durch vernarbt und legte sich wie ein dünner Film über ihren Unterarm. Das Zufügen der Verletzung war für sie wohl stets ein Aufschrei der Seele und das Spüren ihrer selbst. Vielleicht auch eine Bestrafung ihrer Emotionen. Sie befreite sich damit in gewisser Weise und lenkte sich von dem seelischen Schmerz ab, der ihr die Luft zum atmen nimmt. Bis zum nächsten Mal, wenn die Gefühle mal wieder Achterbahn fuhren.
Es tat mir immer sehr leid, sie in ihrem Schmerz zu sehen, ohne ihr wirklich helfen zu können, diese Last ein wenig erträglicher zu machen.
Ich überlegte lange Zeit, wie man sie unterstützen kann und ihrem seelischen Schmerz ein anderes Ventil anzubieten. Die große Gefahr besteht, dass der Leidensdruck andere Formen der Auswirkung erhält, vielleicht noch schlimmer wird, wenn sie in ihrem Tun unterbunden werden. Die angestauten Emotionen könnten sich mit einem Knall entladen und noch größeres Leid verursachen. Ich habe mich in der Zeit des Suchen nach Lösungswegen oft mit meiner Kollegin ausgetauscht, mit der ich gemeinsam Ramona betreue, mich in Fachbüchern belesen, die sich mit dieser Problematik beschäftigen und auch im Kollegenteam beraten lassen.
Ich legte eine Pro und Kontra Liste an, um herauszufinden, welcher Teil überwiegt und letztendlich die Entscheidung des To- Do` s herbeiführt. Als Ergebnis wollte ich es mit der nötigen Sensibilität zumindest versuchen, Ramonas Schmerzen in ihrer Form ein wenig abzumildern und ihr Alternativen anbieten.
Danach fügte ich den IST- Stand meiner Beobachtungen bei Ramona und Wissen über ihre Rituale zusammen und erarbeitete einen Plan. Der Plan wurde mit meiner Kollegin und weiteren KollegInnen besprochen bevor ich mit Ramona darüber sprach, um mit der Umsetzung zu starten.
Ein Belohnungsplan schien mir hierfür geeignet zu sein. Ramona genießt es immer sehr, wenn wir gemeinsam ein Cafe besuchen, um dort mit Kaffee, Kuchen und Gesprächen miteinander Zeit verbringen.
Die Belohnung sollte in festgelegten Zeitabschnitten erreicht werden können.
Um die Erfolge für Ramona auch visuell sichtbar zu machen, legten wir ein kleines Belohnungsbuch an und wurde zum Ritual. Jede Woche wurde das Datum notiert und wenn Ramona die Woche ohne Selbstverletzung geschafft hat, durfte sie neben dem Datum einen selbstgewählten Sticker einkleben. Nach zehn Stickern wurde Ramona zum Cafebesuch eingeladen. Die Vorfreude darauf war bei ihr immer riesig. Eine Zeitlang gelang es auch ohne Probleme und der Verband am Arm wich einem Pflaster und zuletzt war der Arm von Wundbedeckungen befreit. Danach kam eine Zeit, in der es hin und wieder vorkam, dass sie es nicht ohne Verletzung geschafft hat. Also musste für weiteres Gelingen ein Plan B her. Ramonas große Leidenschaft ist, wie schon zuvor erzählt, das Sammeln von Pfandflaschen. Von da an bekam Ramona zu jeder geschafften Etappe und folgendem Cafebesuch zwei Pfandflaschen als weitere Belohnung dazu.
Dieses Ritual führen wir jetzt schon recht erfolgreich seit knapp zwei Jahren durch und Ramonas Stolz wächst stetig an. Sie spürt immer deutlicher ihre Selbstwirksamkeit und das Selbstvertrauen macht sich zumindest in diesem Bereich selbstständig.
Ein besonderer Moment, der mich mit tiefer Freude erfüllt hat, war unser Termin zwischen Weihnachten und Neujahr, als Ramona mir voller Stolz erzählt hat, dass sie an den Feiertagen das Gefühl hatte, sie müsse sich wieder an ihrem Arm wehtun und es dann doch nicht tat und sie lieber die Regale in ihrer Wohnung umdekoriert hat um sich abzulenken.
Ich wünsche mir von Herzen für Ramona, dass sie es weiterhin so gut schafft, wie bisher!
Emotionen begleiten uns Menschen ein Leben lang. Richtig dosiert und verteilt bereichern sie uns und unsere Mitmenschen um uns herum.
Euch allen wünsche ich einen wunderbaren Sonntag mit vielen positiven Emotionen!