
Der Tag liegt noch tief schlafend in dicken Federkissen während in meinem Kopf mal wieder Gedankenjogging herrscht.
Meine Muse, wieder allen voran, greift hier einen Gedankenfetzen aus der Schubladenwand, dort einen anderen und steckt sie sich ins wehende Haar um sie auf der Zielgeraden in den bereitstehenden Wäschekorb der einsamen Socken fallen zu lassen. Dort werden diese dann im Anschluss sortiert und fein säuberlich zu Geschichten aufgereiht auf, die vorher noch blütenweißen Blätter gelegt. Dort dümpeln die Geschichten dann so vor sich hin, bis dass sie gelesen werden.
Tja… so oder so ähnlich geht es wohl oft in mir zu und wird doch nie langweilig. Ganz im Gegenteil! Beim Schreiben meiner Erlebnisse ist es fast so, als erlebe ich die Begebenheiten noch einmal aus einer ganz anderen Perspektive. Nämlich die Perspektive des Zuschauers. Ich kann mich gedanklich zurücklehnen, mich berieseln lassen und mein Fazit ziehen. Aus dieser Richtung schaffe ich es auch, zu erkennen, ob der Ablauf, die Entscheidungen und der Weg seine Erfüllung gefunden hat. Wenn das jedoch mal nicht gelingt, dann gelangt das Erlebnis mit einem Aufkleber in die Erfahrungskiste auf dem dann z.B. steht: „Keine Wiederholung nötig“ oder „beim nächsten Mal anders“.
Also auf ein Neues aus dem Wäschekorb des Lebens!
Diesmal aus der Zeit meiner Ausbildung und einer Idee, die kurz nach meinem Pflegepraktikum in einem stationären Wohnhaus entstanden ist. Die Eigennamen habe ich aus Datenschutzgründen geändert
Im Rahmen meines Pflegepraktikums während meiner Ausbildung bin ich nach der morgendlichen Pflege der Bewohner u.a. auch in der Fördergruppe des Wohnhauses eingesetzt worden.
Bernd sitzt aufgrund seiner Spastiken im Rollstuhl und hat des Öfteren epileptische Anfälle. Daher trägt er am Tag einen Sturzhelm, der ihn bei Stürzen während eines Anfalls schützen soll. Er ist um die 40 Jahre alt und trotz seiner starken Einschränkungen ein überaus humorvoller und sehr charmanter Mensch.
Ein Mensch, der sehr viel Zeit der Mitarbeiter einfordert, was durchaus verständlich ist. Andererseits fehlt für die Einzelbetreuung manches Mal die Zeit und Bernd ist oft enttäuscht darüber und schmollt oder stellt irgendetwas an, um die Aufmerksamkeit der Betreuer erhalten. Mal fährt er mit seinem Rollstuhl in Zimmer seiner MitbewohnerInnen und räumt deren Schränke aus oder er wirft gefüllte Tassen oder andere Gegenstände vom Tisch.
Bernd beschäftigt sich sehr gerne mit Holzpuzzles und Bauklotztürmen, welche er am liebsten mit lautem Getöse zum Einsturz bringt und dabei riesigen Spaß hat. Dies äußert sich in lautem Klatschen und Lachen. Er schaut auch gerne Bilderbücher und benennt die Motive, sowie Farben; hört gerne die Kurzgeschichten, die sich darin befinden. Bernd beschäftigt sich auch sehr gerne mit Dingen, die sich öffnen und schließen lassen. Hier hat es ihm besonders ein Ü- Ei angetan, er schließt es und bittet dann Betreuer, es wieder zu öffnen, wenn er es selbst nicht schafft. Zeitweise vereinnahmt er einen Betreuer für sich damit, mit dem geschlossenenen Ü-Ei zu bitten, es wieder zu öffnen. Wenn es dann aufgrund des Gruppengeschehens nicht möglich ist, der Bitte gleich nachzukommen, reagiert Bernd schon mal enttäuscht.
Die Mitarbeit im Förderbereich hat mir sehr viel Spaß gemacht und bin auch jetzt, nach meinem Praktikum sehr gerne zu Besuch in diesem Wohnhaus. Während der Zeit dort habe ich vieles beobachten können. Die Interessen, Freude und auch Abneigungen der Teilnehmer. Vor allem aber ihre Freude und Dankbarkeit darüber, wenn sich jemand mit ihnen beschäftigt und ihnen in angepassten, individuellen Interaktionen auf Augenhöhe begegnet.
Im Ambulant Betreuten Wohnen, dem Bereich, in dem ich tätig bin, habe ich u.a. auch die Aufgabe, an zwei Tagen in der Woche eine Tagesstrukturgruppe (kurz: TSG) zu begleiten. Die Gruppe besteht aus Menschen mit geistiger und/ oder psychischer Beeinträchtigung. Viele davon bereits im Rentenalter. An meinen Tagen wird kreatives Gestalten und der Alltag in seinen verschiedenen Facetten thematisiert und durchgeführt. Bei den Damen der Gruppe war es weitaus einfacher, ihnen Aufgaben zuzuteilen, die in ihrem Interessenbereich liegen (Kochen, Backen, Handarbeiten, Basteln)
Bei den Herren der Gruppe (meist im früheren Arbeitsbereich als Handwerker tätig) brauchte ich um Einiges mehr an Zeitaufwand, um ihre Interessen und vor allen Dingen Bereitschaft für Aufgaben zu erwecken.
Nach meiner Zeit im Pflegepraktikum gingen meine Überlegungen bzgl. Bernd aus dem Wohnhaus weiter. Die Idee, beides miteinander zu verbinden, kam mir ganz plötzlich bei der Recherche nach Kreativangeboten im Web, welches ich regelmäßig durchführe. Auf der einen Seite war Bernd, der sich für öffnende und schließende Dinge interessiert. Auf der anderen Seite befanden sich die Männer aus der TSG- Gruppe. Auf einer Internetseite fand sah ich ein Activity- Board (dieses Beispiel- Board kostete 274.00 Euro). Ein Activity Board (Beispiel eines Activity- Boards) kann man auch durchaus selbst herstellen und individuell gestalten.
Meine Idee nun:
Mit der gesamten Gruppe unter dem Planungsgremium der männlichen Mitglieder ein solches Activity Board selbst herstellen. Der nächste Schritt war die finanzielle Umsetzung. Ich habe meinen Vorgesetzten über meine Idee in Kenntnis gesetzt und die finanzielle Unterstützung und das Einverständnis für die Durchführung wurde mir zugesagt.
Nun stellte ich meine Idee der TSG- Gruppe vor, alle zeigten sich sehr motiviert und jeder möchte an der Umsetzung teilnehmen. Ideen wurden zusammengetragen.
Zu diesem Beitrag habe ich meinen Praxisordner ein wenig zur Hilfe gezogen. Während der Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin hatte ich zur Aufgabe in jedem Quartal einen Eigenanteil zu schreiben. Ein wenig gekürzt und abgeändert (excl. der eingesetzten Fachtheorien) habe ich den Text so übernommen. Den tieferen Sinn und meine Überlegungen dahinter möchte ich gerne in meinem heutigen Blogbeitrag erzählen…
Zum Einen 😉
habe ich während meines Praktikums Bernd kennengelernt und sein Faible für das Öffnen und Schließen des Ü-Ei`s, sowie der zeitintensive Betreuungswunsch, hat sich in meinem Kopf festgesetzt und mich zum Ideenspaziergang eingeladen.
Und nun komme ich zum Anderen 😉 :
In der TSG Gruppe, die ich begleite, befindet sich u.a. auch Wilhelm, um die 70 Jahre. Neben üblichen Altersbeschwerden hat er zusätzlich noch einen stark ausgeprägten Tremor (Störung des Nervensystems, die mit einem rhythmischen Zittern eines Körperteils verbunden ist, meistens der Hände). Dadurch bedingt muss ihm z.B. das Essen angereicht werden und viele Dinge im alltäglichen Lebens sind durch die Einschränkung nur noch mit Hilfe möglich.
Wilhelms psychische Konstitution hat sich in der letzten Zeit aufgrund von verschiedenen lebensmotivierenden Ideen und Maßnahmen ein wenig verbessert und ist derzeit stabil. Vorher jedoch hat sich Wilhelm oft hilflos gefühlt, zu nichts nütze und hat kaum noch Lebensmut besessen.
Als ich ihm meine Überlegungen bzgl. der Gestaltung eines Activity-Boards erzählte, fand er die Idee gut und er freute sich, dass ich ihn zum „Bauleiter“ des Activity- Boards ernannt habe, welches mit meiner Unterstützung umgesetzt werden sollte. Nun ging es ans Planen, entwerfen, kaufen des Materials. Derzeit sind wir in der „Bau- und Abschlussphase“. Im Anschluss werden wir, als TSG- Gruppe das Board als Präsent für die Fördergruppe im Wohnhaus überreichen, wodurch die Gruppenteilnehmer in ihrer Selbstwirksamkeit positiv bestärkt werden und ihr Selbstbewusstsein polieren können, bis dass es im Hochglanz erstrahlt.
Gleichzeitig wird es Wilhelm und allen anderen Teilnehmern der Gruppe klar, dass sie selbst noch zu großen Dingen fähig sind. Nämlich anderen helfen zu können. Dazu bedarf es oft nur, ein wenig über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und zu erkennen, dass jeder helfen kann und nicht nur die Hilfe anderer benötigt. Das stärkt die Seele und den Lebensmut.
In diesem Sinne wünsche ich euch einen wunderbaren Sonntag, mit allen Annehmlichkeiten, die der Tag vollbringen kann.