
Eine kleine Lüge machte sich eines Tages auf den Weg, sammelte hier und sammelte da, selbst hinterm Ofen und in des Osterhasens Stube, hinterm Mond und auf dem kleinsten Strohhügel ein, was ihm und seiner Gier nach Zuhörern hilfreich zu sein schien. Auf seinem Weg begegnete ihm auch Hans Prahlhans, Susi Nimmersatt, Zwerg Nase und Anton Besserwisser. Sie gesellten sich mit und beieinander und zogen fortan durch die Lande, um die Menschheit zu unterhalten.
Wenn sie dabei dann mal ein kleines Stück verbrannte Erde hinterließen, nahmen sie es mit einem winzigen Seufzer hin und grenzten sich von dem bisschen Reue, welches sie manchmal, eher selten überkommt, vehement ab. Im Laufe der Jahre wuchs dann die Lüge zu einem imposanten Lügengeflecht heran und schillerte an manchen Tagen wie ein riesengroßer Seifenblasenballon in sämtlichen Farben nur schillern kann und an anderen Tagen stand man sich einem überdimensionalen Irrgarten aus lauter Verwirrungen gegenüber und wusste nicht ein noch aus.
Dass der riesengroße Seifenblasenballon eines Tages mit einem riesengroßen Knall das Weite des Universums suchen könnte, daran dachte die Lüge zu keinem Zeitpunkt. Zumindest nicht in diesem Moment.

Warum ich dieses jetzt nun geschrieben habe?
Es könnte als Art Einleitung zu einer weiteren Erzählung aus meinem Berufsalltag als Heilerziehungspflegerin verstanden werden. Ich hatte bereits in der Vergangenheit immer mal wieder einige ähnliche Erzählungen auf diesem Blog veröffentlicht. Von den verschiedensten geistigen oder psychischen Erkrankungen, die mir tagtäglich begegnen und bei denen wir unseren Klienten aufs beste, abgestimmt auf die individuellen Fähigkeiten begleiten, um den Alltag mit all seinen Anforderungen möglichst selbstständig schaffen.
Wir versuchen, die Menschen zu fördern, selbstständig Dinge zu erledigen, bei denen sie Schwierigkeiten haben. Entlastende Gespräche führen, Lösungsmöglichkeiten für die unterschiedlichsten Problematiken suchen und stets ein offenes Ohr für die Wünsche und auch Traurigkeiten der Seele bieten. Wenn unsere Schützlinge dann soweit bereit sind, ihr Leben mit allen Facetten wieder selbstständig auf die Reihe bekommen, dann ist unsere Arbeit erledigt, wir haben uns überflüssig gemacht und das Ziel ist erreicht.
Bei manchen Klienten kann das aus den unterschiedlichsten Gründen nur zum Teil möglich werden und wir versuchen, den Status zu erhalten, dass sie möglichst autark in ihren eigenen vier Wänden leben können.
In dieser, meiner und heutigen Erzählung möchte ich von einem Klienten erzählen, den ich schon seit ein paar Jahren begleite. Nennen wir ihn mal Pattrick aus Gründen des Datenschutzes.

Pattrick ist ein Kind der 60-er, lebt also schon ein paar Jährchen auf diesem Planeten. Seine Diagnose lautet: Rezedivierende depressive Störung, schwere Episode ohne psychotische Symptome, pathologisches Horten (Messisyndrom), Angststörung.
Seine eigene Diagnose ohne ärztliche Bestätigung: Unheilbar krank (die Ärzte, die Untersuchungen in alle möglichen Richtungen angestellten, haben bislang nicht wirklich etwas feststellen können), Allergie gegen Krankenhäuser, luzide Träume (Klarträume), Existenzängste.
Pattrick hat in der gesamten Zeit, in der ich ihn ambulant begleite, auch immer nur in Begleitung den Briefkasten öffnen können, da er dort immer schreckliches vermutete. Kündigungen und Briefe, die ihn an den Rand der Existenz bringen könnten.
Heute möchte ich zunächst auf seine „Sammel“-„Leiden“-„Schaf f t“ um die Löcher in seiner Seele zu füllen, eingehen.
Seine Wohnung lief fast über von fast allem, was er im Laufe der Jahre durch Käufe auf gehortet hat.
Im Laufe der Zeit sammelten sich dort u.a. Ölgemälde der verschiedenen Epochen, Schallplatten, Musikkassetten, Fundstücke vom Flohmarkt oder Möbelstücke die ihm am Wegesrand als Sperrmüll begegneten und die er unterm Arm oder im Auto tranportieren konnte. Viele Möbel oder Gebrauchsartikel aus dem Haus seiner verstorbenen Eltern fanden ebenfalls bei ihm ein neues Zuhause.
Am Anfang unserer Arbeitsbeziehung erzählte er mir, dass er 4 Staubsauger, 2 Waschmaschinen, Unmengen an Werkzeug, Koffer, Bilder, Geschirr sein eigen nannte. Als er damals noch in Lohn und Arbeit war, gut verdiente, kaufte er sich häufig ausgefallene Boutique- Kleidung. So häuften sich dann die Kleiderschränke, Kisten und fahrbare Kleiderständer, von denen er auch, wie man vielleicht vermuten kann, gleich mehrfach besaß. Die Kleidung wurde, als er dann in die Phase der Arbeitsunfähigkeit kam, solange getragen, bis dass sie in den Abfall wegen „untragbar und schmutzig“ verschwinden musste. Gewaschen wurde diese nicht, da er bis dahin nicht wusste, wie eine Waschmaschine benutzt wird.
Was in seiner damaligen Wohnung besonders und gleich ins Auge fiel, waren die vielen Bilder und Bücher, die die Wände zierten. Nicht einmal eine Tapetenbahn hätte dazwischen noch Platz gehabt. Dabei hatte er praktisch zwei Etagen für sich. Als die Räume nicht mehr ausreichten, mietete er noch eine zweite Garage und einen Container an, um sein Hab und Gut unterzubringen.
Man und auch ich frage mich, was man erlebt haben muss, damit die Ordnung der Habseligkeiten so aus dem Gleichgewicht kommen kann, dass eine Sammelleidenschaft soviel Leiden schafft, dass man irgendwann nicht mehr weiß, wie man diese ganzen Dinge unterbringen soll.
Loslassen und sich von Dingen trennen, das ist nach wie vor immer noch stetiges Thema. Nach der Kündigung wegen Eigenbedarf und Umzug in eine neue Wohnung, hat sich aufgrund der Verkleinerung der Räume, zwangsläufig ergeben müssen, Dinge auszusortieren und zu entsorgen. In der neuen Wohnung sehe ich allerdings auch nun noch fast jede Woche wieder ein neues Möbelstück, ein Regal oder dergleichen, welches sich zu den anderen gesellt. Dabei hatte er sich zu Beginn doch sehr gewünscht, mehr Luft und Raum zum „atmen“ zu lassen. Der Wunsch hat sich zu einem großen Teil aus Platzgründen ins hinterste Eckchen verkrochen.
Zu Beginn meiner Begleitung von Patrick fragte er mich einmal in einem Gespräch nach meinem ehrlichen Eindruck von ihm, um abzuchecken, ob auch ich irgendwann mit der Arbeit mit ihm aufgeben würde. In der Vergangenheit haben bereits einige Personen ihre Zusammenarbeit mit ihm beendet, da sie keine Möglichkeit zur Verbesserung sahen. In diesem Gespräch teilte ich ihm meine Einschätzung mit, dass seine überfüllte Wohnung ein Spiegelbild seiner inneren Zerrissenheit zu sein scheint. Er schien überrascht über meine Beobachtung zu sein und stimmte mir zu. Darüber hinaus versicherte ich ihm, dass er sich keine Sorgen machen müsse, dass auch ich eines Tages plötzlich und ohne Nachricht verschwinden würde.
Verlust- und Bindungsängste mögen auch bei Pattrick ein großer Teil des Hortens sein. Das Messiesyndrom ist eine mittlerweile anerkannte Erkrankung
Die KI sagt:
Verlust- und Bindungsängste beziehen sich auf die Angst vor dem Verlust von nahestehenden Personen oder der Angst vor dem Verlassenwerden. Diese Ängste können zu einem übermäßigen Festhalten an Besitztümern führen, was dann als Horten bezeichnet wird. Im Zusammenhang mit der Person namens Pattrick wird vermutet, dass diese Ängste eine Rolle spielen könnten, indem sie dazu führen, dass Pattrick viele Dinge hortet.
Das Messiesyndrom wird auch als Messie-Syndrom bezeichnet und beschreibt eine psychische Störung, bei der Betroffene Probleme haben, Dinge wegzuwerfen, zu sortieren oder zu ordnen. Dies führt zu extrem unordentlichen und überfüllten Wohnverhältnissen. Das Messiesyndrom wurde mittlerweile als anerkannte Erkrankung klassifiziert, die professionelle Unterstützung erfordern kann, um damit umzugehen und Verbesserungen zu erzielen.
Wenn ich so nach oben und auf die vergangenen Zeilen blicke, sollte ich auch hier wieder mal einen „Boxenschreibstopp“ einlegen… Ich, die da wieder mal, diktiert von ihrer Muse und dem Schreibdrang meiner Hände ins uferlose gleitet… sollte dann mit dieser Geschichte einen Mehrteiler gestalten.
Eine weitere Episode folgt möglichst zeitnah, damit ich auch erzählen kann, was die Geschichte mit dem legendären Münchhausen auf sich hat *lächel*. Was denkt ihr, wie es weitergeht?… 😉
Bis dahin genießt den Start in einen hoffentlich auch bei euch sonnigen, entspannten und schönen Sonntag! Bleibt gesund, wir lesen uns bald wieder!


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