29.07.14 ❤ Kinderseelen weinen heimlich ❤ Teil 3
Nun habe ich bereits zwei Folgen dieses 3- Teilers geschrieben und wundere mich immer noch, dass vieles, was ich damals vor vielen Jahren erlebt habe, immer noch so präsent ist, immer noch so weh tut, sobald es mein Bewusstsein erreicht. Dann kommt es mir so vor, als wenn es erst gestern passiert ist.
Meine Gefühle in diesem Moment kann ich nicht beschreiben. Hass und Wut gegen den Menschen, der mir das angetan hat und der sich einfach so, ohne seine große Schuld gesühnt zu haben, das Leben, sein Leben verlassen hat nachdem er meine Kinderseele in den Tod getrieben hat. Einfach so weg gestohlen. Widersprüchlich dagegen spricht allerdings, dass ich nur leben und überleben konnte, weil er „gegangen“ ist.
Es ist gut, es ist alles gut und ich fühle mich nun viel freier, habe ich doch meine ganz eigene, so lange und so gut verschlossene Kindheitsgeschichte, erzählt, gar öffentlich gemacht. Es ist kein Riesenstein von meinem Herzen gefallen. Nein, immer wieder sind kleine Steinchen herab gerieselt, die nun dennoch eine große Erleichterung im Ergebnis bringen.
Diese, meine Geschichte wird immer zu meinem Leben gehören, sie hat mich geprägt, hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ich habe gekämpft, habe geweint und habe gelitten, wie ein Tier nicht schlimmer leiden kann. Aber ich habe überlebt und ich lebe, lebe sogar gerne mit meinen Menschen um mich herum.
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Hallo du da…
Schön, dass du gewartet hast
Nein, sag jetzt nichts, ich erzähle dir nun die meine Geschichte weiter, ja?
Hör bitte genau zu…
Als du dich mit Mama und mir in der Gaststätte getroffen hast, hast du deinen Plan ganz bestimmt schon genau ausgedacht, nicht wahr? Warum sonst hast du auch die Pistole eingesteckt, mit der du uns jetzt so versteckt drohst, dass nur wir die Waffe sehen können. Du machst mir Angst damit, ganz große Angst.
Du fühlst dich bestimmt nun wieder ganz mächtig, nicht wahr? Brauchst du das Gefühl der Macht, um dich wohl zu fühlen? Du redest so eindringlich auf Mama ein und sagst ihr, dass sie mich mit dir gehen lassen muss, damit kein Unglück passiert. In dem Moment habe ich nur in meinem Kopf, dass ich den heutigen Tag nicht überlebe. Denn ich habe dich ja verraten und nun wirst du mich bestrafen, bevor du für deine schlimmen Dinge bestraft wirst.
Papa? Weißt du? Ich habe die ganze Zeit ganz leise gebetet, darum gebetet, dass du aufhörst und du einfach weg gehst, ohne mich. Aber der liebe Gott hat mich wohl nicht gehört. Vielleicht will er mich auch nicht hören, weil ich auch Schuld in mir trage?
Draußen vor der Türe hast du dein Moped stehen und ich muss aufsteigen. Ohne ein weiteres Wort mit mir zu reden, fährst du nun los zu deiner Wohnung. Dort angekommen, musste ich gleich in dein Schlafzimmer rein und mich ausziehen. Nein, hast du gemeint, du würdest mir nicht weh tun. Du möchtest noch ein paar Fotos machen, damit du eine Erinnerung an mich hast. Musst du mich so erniedrigen? Ich bin so voller Scham und Ekel, voller Angst und die Übelkeit steigt wieder in mir hoch. Aufs Bett soll ich mich legen und du sagst mir, wie ich mich hin zu legen habe und machst Fotos.
Auf einmal klingelt und klopft es an der Türe. Ich zittere am ganzen Körper und die Angst, wie es nun weiter geht, schnürt mir die Luft ab. Es klingelt immer weiter und Stimmen vor der Türe werden immer lauter. Die Polizei steht da und du sollst sofort die Türe aufmachen!
Ein Zeitgefühl habe ich in diesem Moment nicht gehabt, ich weiß noch nicht einmal mehr, warum du irgendwann die Türe aufgemacht hast. Die Polizisten brachten mich dann wieder zu Mama, die in dem Streifenwagen draußen vor der Türe wartet. Meine Mama, als ich sie sah ❤ Ich war so froh sie zu sehen und hab so geweint vor lauter Erleichterung, weil sie dafür gesorgt hat, mich gerettet hat aus deiner Hölle, in der du dich zu leben, wohl gefühlt hast. Warum Papa, warum nur?
Wie nur können Menschen so grausam sein, so wie du es mir gegenüber warst? Alles schön verpackt und hinter Masken versteckt. Masken, die einem Menschlichkeit und Liebe vorgaukeln. Deine Maske fängt nun an, abzubröckeln und jeder kann nun sehen, wie du wirklich bist und jeder wird auch nun erkennen, wie hilflos ich dir ausgeliefert war. Und weißt du Papa, ich bin froh darüber.
Ein paar Tage später bin ich dann zunächst wieder zu meiner Tante gezogen und Mama und meine beiden kleineren Schwestern gleich mit. Du bist darauf wieder in das Haus eingezogen, in dem wir gewohnt haben. Du hast öfter angerufen und wolltest dich immer wieder entschuldigen für das, was vorgefallen ist. Es täte dir alles so leid und du würdest dich ändern. Doch du hast es nicht geschafft, Mama davon zu überzeugen. Ich war so froh darüber.
Du hast am Telefon auch mit mir gesprochen und hast mir gesagt, dass wir Kinder immer noch einige Sachen, auch unsere Fahrräder dort haben. Du sagtest, dass du für mich noch eine ganz besondere Überraschung, ein Geschenk hast, was du mir unter mein Kopfkissen in meinem alten Bett gelegt hast. Ich sollte in den nächsten Tagen, am besten am Wochenende, wenn du auch zu Hause bist, aber nur mit Mama und Oma vorbei kommen, um die Sachen und vor allem mein Geschenk abholen. Warum Papa? Wolltest du uns da nun bestrafen, dafür, was wir dir damit angetan haben? Den Verrat, die Anzeige und dich allein gelassen zu haben? Werde ich jemals die Antwort auf meine vielen Fragen bekommen? Von dir vielleicht Papa?
Es kam ganz anders, als du erhofft und gewünscht hast Papa, nicht wahr? Mama, meine Tante und mein Onkel sind zu dir gekommen, um unsere Räder und noch einiges mehr abzuholen. Wir Kinder sind alle bei meiner Tante zu Hause geblieben und Oma hat auf uns aufgepasst. Mein Onkel und meine Tante haben einige Sachen schon mal ins Auto nach draußen gebracht und du hast mit Mama in der Küche gestanden und geredet.
Du wolltest noch ein letztes Mal versuchen, Mama davon zu überzeugen, dir zu verzeihen und zurück zu kommen. Doch Mama blieb hart und du hast gemerkt, dass sie es ernst meint. Du lehntest mit dem Rücken an der Küchenzeile und Mama steht im Raum, mit etwas Abstand von dir entfernt. Da hast du plötzlich mit deiner Hand hinter dich in eine Schublade gegriffen und hast wieder eine Pistole in der Hand gehabt, mit der du Mama bedroht hast und plötzlich auch schießt.
Du triffst Mama in die Hand, die sie schützend und im Reflex vor ihren Körper gehalten hat. Den Schuss haben auch meine Tante und mein Onkel draußen gehört und kamen herein gestürmt, um zu helfen. Du richtest die Waffe nun auch auf meine Tante und triffst meinen Onkel in den Bauch, der gerade im letzten Moment, noch schützend vor meine Tante eilte. Gemeinsam liefen die drei dann raus auf die Straße und haben sich hinter einem Auto versteckt.
Irgendwelche Nachbarn haben wohl die Schüsse mitbekommen und riefen die Polizei und den Krankenwagen. Dann war es zunächst ganz ruhig und in diese Stille hinein hörte man Minuten später einen weiteren Schuss aus dem Haus.
Hörst du mich noch Papa?
Irgendwann kam dann auch der Krankenwagen und die Polizei und haben Mama und meinen Onkel ins Krankenhaus gebracht. Meine Tante, die unverletzt war, ist gleich mit ihnen gefahren. Die Polizei ist danach ins Haus rein und haben dich in einer riesigen Blutlache im Flur, hinter der Haustüre gefunden. Du hast dir in den Kopf geschossen, lebtest aber. Mit dem Rettungshubschrauber flogen sie dich in die Uni- Klinik.
Mittlerweile hat meine Tante nun auch meine Oma, die bei uns war, angerufen und hat ihr erzählt, was passiert ist und dass sie noch im Krankenhaus wartet, bis die Operationen bei Mama und meinem Onkel abgeschlossen sind. Gottseidank waren die Schusswunden nicht lebensgefährlich und die beiden mussten nicht so lange im Krankenhaus bleiben. Ein bis zwei Wochen meinten die Ärzte.
Als meine Ömi aufgelegt hat, hat sie mich zu sich gerufen und hat mir ein wenig erzählt, was passiert war und dass Mami im Krankenhaus ist und du Papa mit deinem Leben kämpfst. Wie es dir geht Papa, wollte ich überhaupt nicht wissen. Ich habe nur geschrien und wollte zu meiner Mama und wissen, wie es ihr geht! Ömi sagte mir, dass es Mama soweit ganz gut geht und die OP gut verlaufen ist und dass auch mein Onkel auf dem Weg der Besserung ist.
Papa, passiert ist das ganze am Nachmittag und nun haben wir 23 Uhr abends. Da kommt wiederum ein Anruf und meine Oma erfährt, dass du Papa den Kampf ums Überleben verloren hast. Die Ärzte hätten noch alles versucht, dich zu retten, doch deine Verletzung war zu schlimm und du nicht stark genug.
Den letzten Weg, den Weg zu deinem Grab mussten wir als Kinder ohne Mama gehen. Denn Mama war da noch im Krankenhaus. Dich auf diesem, deinem letzten Weg, den wollte ich nicht mitgehen. Ich wollte nicht schon wieder mit dir gehen müssen, so, wie du mich schon so viele Male zum Mitgehen gezwungen hast.
Warum nur schaffst du es jetzt noch, obwohl du doch gar nicht mehr da bist, mich dazu zu zwingen? Warum? Ich kann diese ganzen Blicke der Leute, die ebenfalls an der Beerdigung teilnehmen, kaum ertragen. Ich schäme mich so sehr und es sind viele Leute dort. Verwandte, auch deine Schwester Papa, die war auch dort mit ihrer Familie. Sie wird auch weiterhin an deine Unschuld glauben, das weiß ich auch schon jetzt. Dann waren auch einige Kollegen von dir mit dabei und haben dir sogar einen Kranz mitgebracht. Papa, ich war so froh, wie alles vorbei war und ich endlich vom Friedhof und von deinem Grab weg gehen konnte.
Papa? ….
Papa? Hörst du mich noch? Hörst du mir noch zu? Papa? Ich bin gleich fertig mit meiner Geschichte, dann lass ich dich auch in Ruhe, ja? Die Ruhe brauchst du auch nun, nicht wahr?
Papa? Weißt du, was ich ganz sicher weiß? Ich weiß ganz genau, dass ich nicht hätte überleben und vor allen Dingen leben könnte, wenn du nicht dein Leben verloren hättest. Du bist nun tot und ich bin froh darüber. Glaubst du mir das? Es ist, wie es ist…. Ich bin glücklich, dass du nicht mehr lebst.
Papa? Kannst du mir das verzeihen?
Kannst du es vielleicht sogar verstehen?
Papa? Warum antwortest du nicht?…
Heike, es wäre gelogen, wenn ich sage, dass mich dieser Beitrag von dir bis in meine Träume verfolgt hat. Das liegt aber nur daran, dass ich mich so gut wie nie an Träume erinnern kann.
Doch beschäftigt hat er mich schon, sogar sehr.
Ich denke, ein Mann, hier sogar noch ein Vater, der es über das Herz bringt, seiner kleinen Tochter das anzutun, ist innerlich entweder so verroht oder abgestumpft, dass ihn Leid nicht rührt – weder das seiner Frau noch das seiner Kinder. – Warum begibt sich so ein Mann nicht in Behandlung, wenn er diese Triebhaftigkeit in Richtung Kinder bei sich entdeckt.
Ich weiß, dass ich an deiner Stelle auch glücklich und froh gewesen wäre, ihn losgeworden zu sein – vollkommen egal auf welche Weise.
Das Leben kann so oft grausam sein. Wenn es grausam ist durch äußere Umstände (Naturkatastrophen, Kriege und ähnliches), da ist das schon schlimm genug – doch wenn diese Grausamkeiten ihre Ursache in den Personen haben, die eigentlich die liebsten auf der Welt sein müssten, dann ist das doppelt so schlimm.
Danke für deinen Mut, das hier zu schreiben.
Christine und Clara grüßen dich ganz, ganz lieb
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