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Photo by Ave Calvar Martinez on Pexels.com

Was zum Paradiesvogel nochmal ist denn  nun schon wieder los? Warum passiert das immer nur mir oder passiert das immer nur mir  oder warum gerade ich schon wieder?… Fragen, die fragen und das suchen nach Antworten, die sich nach Blindekuhmanier in der Pampas meiner  Gedanken verstecken. Die Lorelei besang schon damals auf dem schönen Rheinfelsen: „Ich weiß nicht, was soll das bedeuten?“, eine vertonte Lyrik von Heinrich Heine.  Wenngleich ich auch die Traurigkeit, die in diesem Lied besungen wird, nicht teile, dann kann ich aber zumindest den ersten Satz blind unterstreichen und mit mir und manchmal mit meiner obskuren Tollpatschigkeit teilen. 

Nun merke ich so langsam, dass ich mal wieder verdächtig in meiner Geschichte abschweife, in der Weltgeschichte meines Gehirns herumreise und komme mal wieder besser auf den Punkt  zurück. Zu den Dingen, die ich euch  und mir erzählen möchte *lächel*

Neulich und so  wie jeden Morgen ist mein zweiter Weg der ins Badezimmer um nicht nur meine Gedanken zu wecken, sondern um meinen Körper von den Altlasten der vergangenen Nacht zu befreien. Das heißt, ich  gehe duschen  um mich dann erfrischt  und wach  dem Tag mit all seinen Erlebnissen, die er für mich bereit hält,  zu stellen. Ein Ritual wohl, welches für viele von uns am Morgen normal ist.

Normaler Weise funktioniert das auch ganz reibungslos und ich werde zumindest dort nicht schonungslos von meiner sporadischen Tollpatschigkeit  überfallen.

Ich stand also nichtsahnend, dass ich bald auch nichtsehend  werde, unter der Dusche  um die notwendigen Hygienebehandlungen  zu tätigen. Immer schön warm und nicht zu heiß, prasselte das Wasser munter durch die Brause. Bis  dahin war noch alles prima, bis ich plötzlich merkte, dass ich eines  meiner Sinne beraubt wurde.  Ich sah nichts mehr, „nada, niente und  gar nix mehr“. Hatte ich doch beim Entkleiden vergessen, auch meine Augengläser abzulegen  und es tatsächlich erst beim Erblinden bemerkt.

Bild von ejaugsburg auf Pixabay

 Der Wasserdampf legte sich so einfach frech auf meinen Durchblick, so dass ich fortan blindmanierlich  auf andere  Sinne ausweichen musste, um mein Morgenwerk zu vollenden. Die Brille einfach ablegen, ging nicht so einfach, da ich nicht wusste, wohin, ohne die Gefahr, dass sie zu Bruch gehen könnte. Also  musste ich dadurch, ob ich wollte oder auch nicht. Die benötigten Schaumprodukte  habe ich  tastender  Weise  auch gefunden. Es hat  also letztendlich alles funktioniert und ich bin  der Dusche auch  sauber entstiegen.

Nun wäre ich ja nicht ich, wenn ich nicht schon wieder diverse Gedankenvergleiche zu meinem  Berufsfeld  ziehen würde. In meinem Berufsfeld der Heilerziehungspflege haben  wir u.a. auch mit Menschen zu tun, welche aus den unterschiedlichsten Gründen ihr Augenlicht teilweise oder auch ganz verloren  haben, bzw. nie besessen haben.

In meinem Berufsalltag im  Bereich des ambulant betreuten Wohnen haben wir derzeit niemanden, der erblindet ist. Während meiner Ausbildung zur HeilerziehungspflegerIn habe ich ein achtwöchiges Praktikum im stationären Bereich eines Wohnhauses für MmB unseres Trägers  absolviert, in der eine Frau  wohnt, die zu fast  100%  ihrer Sehkraft verloren hat.

In den meisten Fällen wird eine Erblindung im Laufe  des Lebens  erworben. Diese Frau,  nennen wir sie hier  mal  Annika, im Wohnhaus hat zusätzlich zur Erblindung weitere Einschränkungen, die sie am  Führen eines Lebens mit allen Sinnen  hindern und sie auf Unterstützung angewiesen  ist.  Neben den geistigen Einschränkungen sind da  noch  Schwerhörigkeit  und der Sprachverlust. Wenn Annika etwas äußern möchte oder braucht, lautiert sie. Manchmal, wenn sie wütend ist, passiert das auch schon mal ganz schön laut. Da heißt es, selbst Ruhe bewahren um sie wieder zu beruhigen und herausfinden, was sie stört. Wenn  Annika  zufrieden  ist, dann  braucht sie auch mal, wie ein jeder von  uns, eine Umarmung  oder ein freundliches  Wort. Es dürfen derer auch schon mal ein paar mehr Worte sein *lächel*. Auf alle Fälle benötigt man eine Menge Fingerspitzengefühl, um der  sensiblen  Annika Zufriedenheit schenken zu können.

Während meiner Praktikumszeit  habe ich Annika oft  am Morgen geweckt und mit ihr die tägliche Routine der Hygienemaßnahmen durchgeführt.  Ich bin leise in  ihr Zimmer und habe sie  mit ruhiger, in der Lautstärke angepassten  Stimme angesprochen, wie sie geschlafen hat und das es nun Zeit fürs Aufstehen sei. Dabei habe ich ihr die Hand auf die Schulter gelegt, damit sie spürt, dass jemand da ist  und  bin dann zum Fenster und habe die Rollos hochgezogen. In der Zeit habe ich mich  mit ihr unterhalten und erzählt, was als nächstes ansteht, habe ihr in die Pantoffeln geholfen   und ihr beide Hände gereicht, um ihr aus dem Bett und auch ins  Bad zu helfen. Dort half ich ihr auf die Toilette, damit sie ihr „Morgengeschäft“ erledigen konnte.

Nachdem sie sicher saß, bin ich für etwa  5 Minuten aus Gründen der Privatsphäre  aus dem Raum gegangen und  habe in der Zeit die frische Kleidung  für  Annika herausgesucht. Manche Kleidungsstücke auch im Doppelpack, damit sie ertasten und auswählen kann, ob sie heute den besonders flauschigen Pulli oder die Baumwollbluse anziehen möchte. So erhält man zumindest ein ganz klein wenig das Recht, selbst entscheiden zu dürfen.

Nach einer kurzen Weile klopfte ich an die Badezimmertüre, fragte ob sie mit der Morgentoilette fertig sei. Wenn sie mir dann die Arme entgegenstreckte, war dies ein eindeutiges „Ja“ und ich half ihr beim Aufstehen und Auskleiden. Beim Duschen habe ich in kleinen Schritten erklärt, was nun als nächstes kommt. Die richtige Wasserwärme hat sie mit der Hand vorgefühlt, bevor  ich ihr ganz unters Wasser half. Ich sagte ihr, welches Körperteil ich  als nächstes wasche. Für die Intimstellen gab ich ihr einen Waschlappen und habe sie beim Waschen angeleitet. Das hat Annika recht gut  auch selbstständig durchführen können. Sie benötigte nur klare Ansagen dazu.

Das gleiche Prozedere lief dann auch  beim Zähneputzen und Haare föhnen  am Waschbecken ab. Das Anziehen erfolgte danach. Zum guten Schluss erhielt Annika noch ein paar Sprüher ihres Lieblingsduftes  und  ich half ihr dann in den Aufenthaltsraum zum Frühstück. In den Wochen meines  Praktikums im Wohnhaus  haben Annika und ich ein ganz gutes Vertrauensverhältnis aufbauen können. Sie erkannte meine Stimme und ließ sich ohne  Probleme auf die Zusammenarbeit  ein. 

Die Zeit und das zweimonatige Praktikum im stationären Bereich unseres Trägers  haben mir unheimlich Spaß gemacht und haben mich noch ein wenig mehr Demut gelehrt. 

Da sind Menschen, die ihr Leben mit all den Bürden, die ihnen das Schicksal auferlegt hat, mit Bravour  meistern  und  dabei mit so wenig zumeist zufrieden sind. Dafür schon alleine lohnt es sich für mich, jeden Morgen aufzustehen, anderen zu helfen und sie zu unterstützen, soviel  Lebensqualität  wie möglich  zu  erhalten.

Dabei bin ich selbst nur ein  winzig kleines Zahnrädchen im riesengroßen Uhrwerk der Lebensmaschinerie.

Euch allen wünsche ich einen wundervollen und besinnlichen 2. Advent! Bleibt gesund und passt gut auf euch und eure Lieben auf ❤