Schlagwörter
Behinderung, Bundesteilhabegesetz, Inklusion, Lebensglück, Liebesbotschaften, Liebesbrief, Teilhabe, Teilhabebeeinträchtigung
Gerade ertappe ich meine Gedanken abermals dabei in dem Moment, als sie ihr Bündel schnüren, im Begriff sind durch die Türe und auf die Reise zu gehen .
„Hey, wo wollt ihr denn schon wieder hin? Ihr seid doch gerade erst wiedergekommen?
„Na, was glaubst du denn wohl? Wir wollen das tun, was wir immer tun!“
„Und was wäre das?“
„Wir gehen auf die Suche“
„Auf die Suche geht ihr… achso, naja, wenn ihr meint! Was sucht ihr denn jetzt schon wieder und wann kommt ihr wieder?“
„Warum bist du nur immer so neugierig was wir machen? Interessieren solltest du dich lieber dafür, warum du auf der Welt bist und was du hier zu suchen hast! Da du es nicht tust, müssen wir ja wohl diese Aufgabe übernehmen.“
Sprachen es und weg waren sie. Nun sitze ich da und bin genauso schlau wie zuvor.
Bevor ich mich aber nun zurücklehne und auf die Rückkehr der wuseligen Gedankenbande nutz- und sinnlos in Wartemodus verfalle, kommt mir gerade eine rührende Episode aus meinem Arbeitsalltag in den Sinn, die ich euch erzählen könnte.
Es begab sich bereits letzte Woche während der Betreuung. Aus Datenschutzgründen sind die Namen verändert. Der Rest hat sich so zugetragen wie folgt:
Ich begleite Paul bereits seit über fünf Jahren und in dieser Zeit hat sich ein gutes Vertrauensverhältnis aufgebaut. Ich würde mal behaupten, wir sind ein gutes Team. Paul, um die 60 J., ist geistig beeinträchtigt und kann nicht lesen außer seinem Namen in Druckbuchstaben sowie Zahlen auch nicht schreiben. Sein Wunsch ist es, schreiben und lesen zu lernen. Wenn die Zeit neben den anderen Arbeiten noch reicht, legen wir auch immer mal wieder eine Übungsstunde mit dem passendem Lernmaterial ein.
Sein großes Hobby ist Fußball und er verfolgt alle Spiele, die im Fernsehen übertragen werden. Die Ergebnisse der Spiele notiert er in einer Tabelle. Die verschiedenen Vereine erkennt er an den Vereinswappen. Am Montag morgen, wenn wir gemeinsam den Lebensmitteleinkauf planen, erzählt er mir über die Spiele vom vergangenen Wochenende. Als absoluter Fußballleghasteniker bin ich dadurch immer bestens über die Ergebnisse informiert. Aber dazu mehr in einer anderen Geschichte.
Das, was ich erzählen möchte, hat eher mit einem zarten Gebilde und besonderem Kleinod der Menschen zu tun, dass sich da Liebe nennt.
Paul ist schon seit vielen Jahren mit Linda zusammen. Sie haben sich im stationären Wohnbereich kennengelernt. Paul wohnt nun schon länger im ambulant betreuten Wohnbereich, sprich in seiner eigenen Wohnung, in der er von uns betreut wird. Linda aufgrund ihres Betreuungsbedarfs, u.a. Epilepsie im stationären Wohnhaus. Paul besucht sie dort fast jedes Wochenende, bringt ihr einmal im Monat die Fernsehzeitschrift mit und schon mal Süßigkeiten, wenn ihr danach ist.
Vor etwa zwei Jahren erzählte mir Paul von einem der Besuche bei Linda und wollte meine Meinung hören. „Die Linda möchte, dass wir uns verloben.“ Ich fragte daraufhin: „Und wie fühlst du dich damit? Ist das für dich in Ordnung und sind deine Gefühle so groß, dass du das auch möchtest?“ „Wir sind ja schon ganz lange zusammen. Das mit dem verloben kann man machen.“ „Wie ist das Paul… hast du denn auch vor die Linda mal irgendwann zu heiraten? Früher war das so, dass, wenn man sich verlobt hat, wie ein Heiratsversprechen. Würdest du denn die Linda auch gerne irgendwann einmal heiraten wollen?“ „Das weiß ich nicht, vielleicht ja. Ich glaub, die Linda wünscht sich das auch. Ich hab da nix dagegen.“ „Was hältst du denn davon, wenn du der Linda mal einen schönen Brief schreibst und darin deine Gefühle zu ihr beschreibst? Ich helfe dir dabei, du sagst mir, was ich schreiben soll, ich schreibe es vor und du schreibst es dann mit der Vorlage ab. Wenn du dann noch dazu eine Rose kaufst und sie ihr überreichst, dann hast du eine glückliche Verlobte! Frauen mögen das, wenn ihr Partner sich so liebevoll um sie bemüht kann ich dir aus eigener Erfahrung erzählen.“ „Das ist eine gute Idee“, erwiderte Paul. Gesagt, getan! Linda hat sich übermäßig gefreut.
In der vergangenen Woche, bei einer Schreib- und Leseübung sprach ich Paul darauf an, ob er nicht nochmal einen Brief an Linda schreiben möchte. Er war sogleich damit einverstanden und wir setzten uns daran. Den Brief hat er abermals mit einer Rose bei seinem Wochenendbesuch überreicht, die Freude bei Linda riesengroß und Paul war stolz wie „Oskar“. Den geschriebenen Brief seht ihr oben als Beitragsbild, ich durfte ihn mit Pauls Einverständnis ablichten.
Nun noch das Fazit, welches dieser Erzählung zugrunde liegt:
Mit solch kleinen Gesten, kleinen Hilfestellungen kann man große Freude verbreiten und Menschen, egal mit welchen Beeinträchtigungen glücklich machen. Das stärkt die Teilhabe an der Gesellschaft und sie fühlen sich als Teil des Ganzen und nicht nur geduldet. Mit der passenden Unterstützung leben die Menschen mit Beeinträchtigung ein Leben wie jeder Bürger unseres Staates. Das Bundesteilhabegesetz schreibt zwar die Inklusion vor und hat ganz tolle Ansätze, doch die tatsächliche Durchführung und Umsetzung der Vorgaben steckt noch tief in den Kinderschuhen. Es wird bedauerlicher Weise und manchen Hindernissen geschuldet, noch lange Zeit auf die tatsächliche und umfassende Umsetzung dauern, bis dass es spürbare Ergebnisse in Sachen Teilhaberecht gibt.
Unterstützen können wir alle den Vorgang der Teilhabe, wenn wir über den Tellerrand hinausschauen und darauf achten, niemanden wegen seiner Beeinträchtigung, seiner Herkunft, Haut und Haarfarbe, seiner Religion aus der Gesellschaft auszuschließen oder zu verurteilen.
Es gibt noch viel zu tun! Gemeinsam stärken wir die Gemeinsamkeit unserer Gesellschaft!
Die Freude in meiner erzählten Erzählung um Linda und Paul ist so groß, dass auch ich in diesem Fall daran teilhaben kann. Schon alleine durch das Gefühl, dem kleinen Amor das Füllhorn der Pfeile angereicht zu haben, damit er seine Arbeit erledigen kann.
Nicht jedem Menschen begegnet das Glück. Manche sind ihr Leben lang vergeblich auf der Suche nach dem Sinn und der Liebe des Lebens. Paul und Linda haben das Ihre bereits gefunden und das erfreut mich und auch mein Herz sehr für die beiden.
Ich bin noch gerade dabei, mich mit dem Lächeln meiner Mundwinkeln und dem erwachenden Morgen zu beschäftigen als mich ein freudiges, quirliges „Halloho, hallöchen… wir sind wieder da!“ meiner Gedanken empfängt. Na, dann lasse ich sie doch gleich mal an meiner Geschichte teilhaben und lesen, die sich während ihrer Abwesenheit unter meiner Federführung in Worten auf dem Papier niedergelassen haben.
Ich wünsche euch allen einen wunderbaren Start in den Tag!